Nach wenigen Schritten bleibt es stehen und schaut zu den Bäumen.
Siri hält jetzt meine Hand umkrampft.
Sie sieht es auch! Wir sehen es beide, schweigsam und ergriffen.
Ein Einhorn!
Ein richtiges, echtes Einhorn mit goldener Mähne tritt aus dem Schatten der Bäume.
Langsam nähern sich Reh und Einhorn einander an.
Ein seltsam schwerer Duft liegt jetzt in der Luft. Es riecht nach einem wahren Blütenmeer.
Ganz langsam senkt das Einhorn seinen Kopf. Das Reh steht still.
Und dann berührt das Horn sacht den Kopf des Rehes zwischen dem Geweih.
Das ist keine zärtliche Geste.
Hier wird eine Kraft, ein Segen oder ein Zauber übertragen.
Irgendwie wird hier eine magische Handlung vollzogen, deren Gehalt und Sinn
für uns Menschen verborgen bleibt.
Sirinja und ich sind völlig ergriffen.
Sogar Kiki schaut reglos auf das Geschehen.
Es ist einfach nur zu schön.
Diese beiden mystischen Wesen stehen ganz nahe beieinander. Sie kommunizieren.
Sie tun es auf eine für uns kaum wahrnehmbare Art. Und obwohl wir nichts hören und
nichts verstehen, ist es doch so, als ginge ein wenig des Zauberhaften auch auf uns über.
Und dann sind sie fort.
Einhorn und Reh gehen in verschiedene Richtungen davon, langsam und ruhig.
Wir sehen ihnen nach, bis sie im Dunkel des Waldes verschwinden.
»Ich danke dir, Siri, dass du mir dieses Wunder gezeigt hast«, sage ich endlich.
»Das, das war ein Einhorn«, stammelt sie, noch immer fassungslos. »Die gibt
es doch nur in Märchen.«
»Märchen erzählen oft von der Wirklichkeit, wenn auch meist etwas verschleiert.«
»Heißt das, dass alles wahr ist? Dann gibt es auch Feen und Elfen und Baumgeister
und Pegasi und all das andere?«
Jetzt strahlt sie förmlich. Sie braucht keine Antwort mehr; sie weiß es schon.
»Wir sollten zurückgehen oder zum Baumhaus«, schlage ich vor. »Es wird bald dunkel.«
Keine Chance!
Sirinja erklärt, dass es zu weit ist - egal, ob zum Baumhaus oder zurück.
Und sie will unbedingt hier schlafen.
Diese Lichtung ist für sie jetzt etwas sehr Besonderes.
Also nächtigen wir Arm in Arm im weichen Moos.