Wolfsmärchen

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Ischade
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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von Ischade » Donnerstag 1. Oktober 2015, 08:24

Assin trieb sein Pferd, sein Blick war verloren auf den Horizont gerichtet. Er hatte aufgehört, in die Pergamente zu sehen und folgte nur noch seinen Visionen und der Stimme in seinem Kopf. Es war schon lange nicht mehr der Berg Siran, den er suchte. Obwohl die Stimme in ihm klar und deutlich zu vernehmen war, fand er den Eingang zur Unterwelt der Berge nicht. Und er fragte sich, warum Nafei ihm nicht half – selbst wenn sie nur ein Traum gewesen war.
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Er wusste nicht, wie lange sie schon von Magrin entfernt waren. In der Dunkelheit der Akronwälder war der Wechsel zwischen Tag und Nacht kaum wahrnehmbar. In den alten Sagen nannte man den Norden der Welt im mit den hohen Bergen und den weiten dichten Wäldern deshalb das dunkle Land. Es hieß, hier lebten die Kinder der Mondin, wie die Lichtgeborenen im Süden der Welt – im hellen Land – mit seinen weiten Steppen bewachsenen Ebenen lebten. Doch das war lange bevor es Menschen auf dieser Welt gab und der Spiegel der Göttin zerbrach.
Immer wieder hatte sich Assin gegrämt, dass sein armseliges Königreich ausgerechnet im dunklen Land liegen musste. Ihm war die Dunkelheit zuwider. Wohl ging ihm deshalb Nafei nicht aus dem Kopf, weil sie das genaue Gegenteil von allem war, was er an Akron so sehr hasste.
Fast unbemerkt im gleichbleibenden Dämmerlicht, neigte sich ein weiterer, ungezählter Tag dem Ende zu als Assin, tief verstrickt in tausende und abertausende Schichten von Träumen, Bildern und Geschichten, die ohne Anfang und Ende durch seinen trüben Geist waberten die Stimme Radans vernahm.
„Wir sind angekommen, Herr. Vor uns liegt der Berg Siran.“
Assin nickte. Er hatte den Berg längst vergessen.
„Herr, wir werden beobachtet. Sie werden nicht sehr erfreut sein, das wir hier sind.“
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Erschöpft blickte Assin sich um und durch den Schleier seiner geröteten Augen erblickte er die Umrisse einiger Männer in den Schatten der Bäume In den alten Geschichten, die Assin kannte, wurden sie als Wolfwer bezeichnet. Er erkannte sie sofort: Hochgewachsen, kraftvoll und von sonderbaren nichtmenschlichen Schönheit. Er war versucht, ihr Aussehen mit dem Nafeis zu vergleichen, doch erschien es ihm im gleichen Augenblick, da er ihr Bild vor Augen hatte, absurd.
Die Soldaten kannten die alten Geschichten ebenfalls. Eine Mischung aus Faszination und Angst ließ sie versteinern. Für Sekunden herrschte zähflüssige Stille.
„Greift an!“ Radans Stimme zerbrach das Schweigen.
Die Soldaten erwachten aus ihrer Starre und stürmten tosendem Geschrei ins Unterholz. Bald war der Wald um Assin herum erfüllt von Schreien und dem Geruch von frischem Blut. Zwei der Wolfwer näherten sich ihm.
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Einer von ihnen hatte die Gestallt eines großen schlanken Wolfes, dessen Anmutigkeit und das Leuchten seiner Augen sein wahres Wesen verrieten. An dessen Seite bewegte sich eine Frau auf ihn zu. Sie war völlig nackt – nur ihre langen nussbraunen Haare verhüllten sie ein wenig. Trotz der Krallen an ihren Händen war sie wunderschön. So schön, das Assin für einen Augenblick vergaß, das sie sich ihm einzig und allein in der Absicht näherte, ihn zu töten.
Die Wolfwe hatten mit mehr Widerstand gerechnet, als sie den Anführer angriffen. Doch Assin war nicht darin geübt, zu kämpfen. Ohne Mühe riss ihre wolfsgestalltige Schwester das Pferd nieder und Assin fiel zu Boden.
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Wehrlos ließ er ihre Krallen sein Fleisch aufreißen. Und auch wenn er es kaum für möglich gehalten hätte, senkte sich eine noch größere Dunkelheit über ihn. Das letzte was er sah, war der etwas enttäuschte Blick in den bernsteinfarbenen Augen der Wolfwe über ihm und ein plötzlich aufscheinendes Licht.
Beide der Wolfwen waren enttäuscht. Hatten sie doch geglaubt, dass der Anführer der Menschen, die es gewagt hatten, hierher zu kommen, ein großer Krieger sein müsste. Und während sie noch in ihrer Verwunderung verharrten, so leichtes Spiel mit ihm zu haben, erregte ein, in ihrer unmittelbaren Nähe aufblitzendes, Licht ihre Aufmerksamkeit. Die Gestallt einer Vaira wurde sichtbar. Mit ausgebreiteten Flügeln stand sie vor ihnen. Ihre Hände, aus deren Rücken lange Dornen stachen, erinnerten an Krallen und ihr Körper glänzte metallen im Schein der Mondin. Sie war gekleidet in ein Federkleid aus haarscharfen Klingen. Sie bot ihnen ein Bild aus längst vergangenen Zeiten, wie sie leicht geduckt dastand und lauernd die Wolfwer beobachtete. Aus der Zeit, da noch Krieg war zwischen den Nachtjägern und den Lichtfolgern. Bevor der Krieg gegen die Menschen begann. Als der Spiegel zerbrach. Seit damals war Frieden. Es war Traumzeit. Doch auch sie würde einmal zu Ende sein.
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„Er gehört mir!“ sagte sie leise. Dann kniete sie sich nieder zu ihrem König, hob ihn auf ihre Arme und erhob sich mit ihm in die Höhe. Die Wolfwer blickten ihr nach und irgendetwas in Ryana sagte ihr, das dieser Kampf erst der Anfang war.
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Ischade
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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von Ischade » Sonntag 4. Oktober 2015, 14:47

Die Dunkelheit zerbrach an einem Strahl Mondlicht. Der Raum war durchflutet von silberner Kälte.
Kandira stand vor dem großen in Stein gefassten Spiegel, dessen milchiges Glas von der gleichen Farbe war wie ihre Haut.
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Angespannt beobachtete Kandira den Lichtstrahl, welcher langsam begann, sich zu teilen und sich um die Silhouette einer Frau schmiegte. Sie schien vollkommen aus Dunkelheit zu bestehen. Nur ihre Augen strahlten wie das Mondlicht am nächtlichen Himmel.
„Luna, so lange hast Du mich warten lassen; an meiner Einsamkeit verzweifeln lassen.“
„Nun bin ich hier. Doch warum beklagst Du Dich? Dein Schicksal ist selbst gewählt. Warst du es nicht, Kandira, die Du die Kraft des Spiegels nutzen wolltest? Ich sehe den Spiegel nur ungern in Deinen Händen, nur liegt es nicht an mir, darüber zu entscheiden.“
„Ein Fremder wird kommen, den Spiegel zu besitzen. Ich weiß es.“
„Weil du es warst, die ihn rief!“
„Mag er ihn haben – er oder ein anderer, was spielt das für eine Rolle?“
„Dein Leben ist ein Teil des Spiegels, wie Du weißt. Und wenn er einem anderen gehört, mag er die Macht über den Spiegel haben, die Du nie hattest. Auch die Macht, Dich für immer in den Spiegel zu verbannen. Und vor allem vergiss nicht: wenn der Spiegel bricht, werden wir alle sterben.“
Kandira sank auf die Knie, sacht an den Spiegel gelehnt.
„Gibt es denn nichts, was ich tun kann?“
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Luna Majai zögerte. Fast empfand sie Mitleid mit jenem Wesen, das mit Hilfe des Spiegels den Krieg zwischen ihr und dem Herrn des Sonnenfeuers geschürt und das Ende der Zeit angebrochen hatte. Seither war es ihre Strafe, ein Teil des Traumspiegels zu sein und über seine Macht zu wachen, jedoch ohne sie nutzen zu können.
„Wenn der Spiegel jenem Menschen gehört, ist es an ihm, über ihn zu wachen und Dich weiterhin bei sich zu dulden. Also gib Acht, dass kein anderes Wesen ihm wichtiger wird als Du. Sonst endet nicht nur Deine Freiheit in diesem Augenblick.“
Kandiras Augen funkelten böse bei dem Wort Freiheit. Ihr jetziges Dasein hätte sie wohl nie als Freiheit bezeichnet.
„Nie wird ihm ein Wesen wichtiger sein als ich.“
Luna Majai schloss die Augen. Der Lichtstrahl schloss sie wieder und verblasste.
„Nein Assin, kein Wesen wird Dir wichtiger sein als ich!“ Ihre Hand berührte das geschliffene Kristall und versank darin, als wäre es Wasser, bis nur noch das begierige Funkeln zweier Augen tief im Inneren des Spiegels an die hoch gewachsene Frau mit den silbernen Haaren erinnerte. Blitze zuckten über die glatte Oberfläche und bildeten die Konturen eines Bildes untermalt von einer leisen Stimme.
„Komm Assin, komm!“
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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von spacewalker » Sonntag 4. Oktober 2015, 17:14

Moin.

Jetzt muss ich auch mal meinen Senf dazu geben. Klasse Umsetzung, schöne Story und super Bilder!

Nur das da ein Wolf einen Menschen anfällt, das macht mir Magenschmerzen.

Kinder denkt daran...Rotkäpchen hat gelogen!! Der Wolf frisst keine Menschen! :nana

Bin gespannt wie es weiter geht.

Gruß Timo
"SCHIET DI WAT UN KLEI MI ANN MORS"
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Ischade
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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von Ischade » Sonntag 4. Oktober 2015, 17:34

spacewalker hat geschrieben:Nur das da ein Wolf einen Menschen anfällt, das macht mir Magenschmerzen.

Kinder denkt daran...Rotkäpchen hat gelogen!! Der Wolf frisst keine Menschen! :nana
Nun, wäre es ein gewöhnlicher Wolf, würde ich Dir uneingeschrenkt Recht geben... ABER...

Erstens sind die Wolfwer ja mythische Wesen, die nur auch die Gesatlt eines Wolfes angenommen haben (wenn im Film Werwölfe - den Vergleich hatten wir ja letztens schon - Menschen angreifen, heißt es ja ach nicht, das normale Menschen das tun)
Zweitens sind die Menschen in "böser Absicht" in das "Revier" der Wolfwer gekommen, um sie einzufangen oder schlimmeres. Also verteigigen sie sich. Auch ein normaler Wolf würde sich verteigigen und einen Menschen "anfallen", wenn er bedroht wird. Was dann auch sein gutes Recht ist. (und es ging dabei auch weniger um das "Fressen" von Menschen)
Und Drittens schreibe ich eben Märchen - zwar ffür Erwachsene - aber eben doch Mächen und Wölfe haben schon seit vielen Tausend Jahren einen starken Symbolcharakter und man darf Märchenmetaphern nicht immer sofort real umsetzen. Rotkäppchen ist da ein gutes Beispiel - das hat nichts mit der Realität echter Wölfe zu tun.

Aber noch einmal für alle Kinder und erwachsenden Unwissenden:
Wölfe sind sehr soziale Tiere, kümmern sich rührend um ihren Nachwuchs und meiden Menschen wann immer es geht. :knicks
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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von Mara » Sonntag 4. Oktober 2015, 19:52

Puh, das ist wirklich spannend.
Aber es wird nicht gut ausgehen, fürchte ich. Niemals kann man mit Magie, gleich welcher Art, so etwas wie Liebe bewirken. Es wird ihm etwas oder jemand anderer wichtiger werden, wenn er seinen verstand wieder findet.
Ich finde die Geschichte echt toll :zehn
Man hört nicht auf, zu spielen, weil man alt wird - man wird alt, weil man aufhört, zu spielen.

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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von Ischade » Sonntag 4. Oktober 2015, 20:09

Danke Mara... und Du hast Recht. Liebe ist selbst eine Art Magie und nicht so leicht zu beeinflussen ... und ob es ein gutes Ende nimmt oder nicht... lass Dich überraschen! :wink
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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von Ischade » Sonntag 4. Oktober 2015, 20:28

Das letzte, an das Assin sich erinnerte, war ein Lichtschein gewesen. Dann wart es dunkel um ihn geworden. Und nun da er wieder erwachte, umgab ihn die Dunkelheit noch immer. Aber auch der Lichtschein war noch gegenwärtig – ausgehend von dem Wesen neben ihm.
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„Wo bin ich?“ Langsam raffte er sich auf und blickte in Nafeis unschuldiges Gesicht.
„In der Unterwelt Akrons. Ich werde Dich zum Spiegel der Träume bringen, Assin, auch wenn es Deinen Untergang bedeutet. Nur eines verlange ich dafür. Wenn wir Dein Ziel erreichen, erfülle mir einen Wunsch.“
„Jeder Wunsch sei Dir erfüllt.“ erwiderte Assin. „Nur bringe mich zum Spiegel der Träume, wenn Du den Weg dorthin kennst.“ Sein Herz entflammte von neuem. Er zweifelte keinen Augenblick. Er fragte nicht, was aus seinen Soldaten geworden war. Auch fragte er nicht nach ihrem Wunsch. Nur ein Gedanke zählte: der Spiegel!
Wie ein Schleier aus Nebel bewegte sie sich durch die dunklen Gänge und Assin wünschte sich – irgendwo tief in seinem Inneren – es wären noch die ihm wohl vertrauten Flure seines Schlosses. Die Tunnel gabelten und kreuzten sich und er hatte Mühe, der durchscheinenden Gestalt Nafeis zu folgen.
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An die letzte Nacht erinnerte er sich nur noch, wie an einen bösen Traum. Vielleicht war es ja auch noch Nacht – oder wieder Tag. Er wusste es nicht! Es interessierte ihn auch nicht.
Alle Gänge sahen gleich aus – doch Nafei schien genau zu wissen, wohin sie wollte.
„Wir werden Nahrung und Wasser brauchen, wenn Du den Spiegel lebendig erreichen willst.“
Nafei war stehen geblieben und wartete bis Assin sie eingeholt hatte.
„Dies ist auch die Heimat der Zwerge. Früher oder später werden wir ihnen hier unten sowieso begegnen. Und dann ist es besser, wir kommen in Frieden und als Besucher.“
„Ich habe von den Zwergen gelesen. Über alle Maßen reich sollen sie sein. Wieso nur verbringen sie ihr Leben hier unten? Es hieß sie würden ein trotz allem ärmliches Dasein führen, immer weiter nach Schätzen suchen und jene hüten, die sie bereits angehäuft haben. Bemitleidenswert, wenn Du mich fragst.“
Nafei lächelte.
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„Hast Du je Deine eigenen Schätze genießen können, König Assin? Bald wirst Du sehr vie ärmer leben als die Zwerge, auch wenn Dir einer der größten Schätze dieser Welt gehören wird.“
Assin schwieg.
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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von Ischade » Montag 5. Oktober 2015, 12:05

Wieder bogen sie an einer der Gabelungen links ab. Dort war Licht! Nicht sehr hell und noch weit entfernt – auch mochte es von Fackeln stammen – und doch war es Licht! Seine Schritte beschleunigten sich. So sehr er das Leuchten Nafeis lieben gelernt hatte, so sehr vermisste er doch das Sonnenfeuer. Fast schon rannte er die letzten Meter. Dann blieb er stehen, überwältigt vom Anblick welche sich ihm darbot.
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Der Gang mündete in einer riesigen Halle. Sie mochte gut dreimal so groß sein wie sein heimatliches Schloss. Ausgeleuchtet von Tausenden von Fackeln, die in drei übereinander platzierten eisernen Ringen an den Wänden befestigt waren. In der Mitte der Höhle brannte Feuer in einer riesigen Schale. Aus dem Felsen waren in meisterhaftem Geschick Tische und Tafeln, Bänke und Stühle herausgearbeitet worden. Assin fragte sich, ob es nur an der Größe der Halle lag, dass ihm die Tische so klein vorkamen. Er erinnerte sich an die die Geschichten, die er über die Zwerge gelesen hatte. Es hieß, sie seien nicht größer als zehnjährige Kinder. Doch wurde stets davor gewarnt, sie zu unterschätzen. Seien sie doch geschickte Kämpfer mit der Axt. Er sah sich um. So überwältigend der Anblick der Halle auch sein mochte, nirgendwo fand sich auch nur eine Spur des sagenumwobenen Reichtums der Zwerge.
Stimmen hallten irgendwo in den Gängen. Sie schienen näher zu kommen. Aber aus welcher Richtung? Assin war verwirrt. Auch wusste er nicht, wie er den Zwergen begegnen sollte. Er wusste nicht einmal mit Menschen umzugehen. Und nun würde er auf Wesen treffen, die freiwillig in der Dunkelheit lebten.
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Er sah zu Nafei, welche sich an den Eingang gesetzt hatte.
„Was nun?“
„Wir werden warten.“
„Warten?“ Ein Wort, das Assin am liebsten aus seinem Wortschatz verbannt hätte. Er war der König! Man wartete auf ihn! Und er? Warum sollte er auf irgendetwas warten – und dies gerade jetzt, da der Spiegel für ihn greifbar nah erschien? Jetzt sollte er warten!
„Du versprachst, mich zum Spiegel zu bringen. Wie Du siehst, die Zwerge sind nicht hier. Es ist Zeit!“
„Wir werden warten.“ Sie schloss die Arme um die angezogenen Knie und schaute hinauf zum steinernen Firmament der Halle. Assin war verzweifelt. Er fühlte sich in seiner Ehre gekränkt. Und trotzdem faszinierte ihn der Gedanke, dass ihm zum ersten Mal in seinem Leben ein Wesen widersprach. Auch das er auf jemanden angewiesen war, war durchaus neu für Assin. Nun, ein König ist immer mehr oder weniger auf sein Volk angewiesen, doch er wusste, dass er ohne Nafei den Spiegel in diesem Labyrinth nie finden würde. Als ob er je hätte nicht ohne jemand anderes regieren können – oder essen. Nun gut, dazu brauchte man zumindest den Koch, der es zubereitete…und die Bauern, die anpflanzten und ernteten. Aber nie musste er auf irgendjemanden warten.
Stumm setzte er sich neben sie.
Essen! Er spürte tatsächlich Hunger in sich. Und er dachte nicht an den Spiegel.
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Aus einem anderen Winkel der Halle gellte ein Schrei. Metallgeschirr fiel schellend zu Boden und einige Stimmen begannen heftig aufeinander einzureden. Assin sah neugierig in die Richtung, aus welcher die Stimmen kamen. Vier Frauen standen am Eingang. Eine von ihnen kniete am Boden und sammelte das Geschirr wieder auf.
„Es wird Ärger geben.“ Erwähnte Nafei wie beiläufig während auch sie das Schauspiel betrachtete.
„Ärger? Warum?“
„Es sind eben Zwerge.“
„Wir werden sehen!“ Es wäre doch gelacht, wenn ich nicht mit ein paar Zwergen fertig werde – wollte er noch sagen. Aber er ließ es.
Mit großen Schritten bewegte er sich durch den Raum. Im Widerhall seiner Stiefel verstummten die Frauen.
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„Kann ich ihnen zu Diensten sein, holde Damen?“ wobei er vor allem auf die jüngste Zwergin sah, welche noch immer am Boden kniete.
„Es tut mir leid. Ich wollte Euch nicht erschrecken.“
Das Mädchen begann zu lächeln. Auch wenn Assins hoch gewachsene hagere Gestallt nicht ganz ihrer Vorstellung von einem Mann entsprach, so fühlte sie sich doch von seinen Worten geschmeichelt. Selbst wenn es ihr doch absurd erschien, das er sie erschreckt haben sollte.
Eine der anderen Frauen trat vor sie, die seine Worte nicht hatten betören können. Die Zwergin stemmte ihre Hände in die Seiten und richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. Und trotz der Tatsache, dass sie ihm nicht weiter als bis zum Bauch ging, sah sie auf seltsame Weise auf ihn herab.
„Tiefra, geh!“
Den Kopf gesenkt ging die junge Zwergin von einer anderen gefolgt zurück in den Gang, aus dem sie gekommen waren.
„Was wollt ihr hier?“ Ihr Blick verfinsterte sich.
„Wir sind Reisenden, die in diesen Gewölben Schutz suchen.“
„Schutz?“
„Räuber haben uns überfallen.“
„Euch vielleicht, doch scheint mir, das Wesen in Eurer Begleitung bedarf keines Schutzes.“
Assin blickte sich um. Nafei saß immer noch am Eingang.
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„Wohl habt Ihr Recht, weise Zwergin. Jene Maid rettete mich im letzten Augenblick aus ihren Fängen und vor dem Angesicht des Todes. Das Schicksal führte uns durch die Pfade des Labyrinths zu Euch. Es lag allein in den gütigen Händen der Göttin, das sie und zu jenem Volk führte, dessen Mut und Größe weit über die Berge Akrons hinaus, gepriesen wird.“ Assin machte eine tiefe Verbeugung – so tief, dass er direkt in Bagriedas Augen schaute, die ihn immer noch finster ansah!
„Was bist Du, Fremder? Einer von diesen Schauspielern, die es unter den Menschen zu Hauf zu geben scheint?“
Assin richtete sich wieder auf, räusperte sich kurz und begann sich mit hoch herrschaftlichem Ton vorzustellen.
„Ich bin Assin, König von Garmis und ich möchte den König Eures Volkes sprechen.“
Bagriedas Blick beugte sich ihrem Unverständnis.
„Den König der Zwerge? Ihr seid doch auch nicht der König der Menschen. Außerdem gibt es keinen König der Zwerge!“
Assin verzweifelte zusehends. Wieder warf er einen Blick hinüber zu Nafei.
„Dann bringt mich halt zu Eurem Anführer!“
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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von Ischade » Dienstag 6. Oktober 2015, 06:41

Majantar stand auf einer der zahlreichen Klippen des Berges Siran uns sah hinab auf die wuchtigen Baumkronen des Waldes. Seines Waldes. Der Wald Akrons, die Berge und vor allem Siran gehörten den Wolfwern. Und er war der Oberste aller Sippen in diesen Wäldern. Es waren seine Wälder! Nur ungern ließ er es zu, das Menschen in ihm lebten, doch war es seit dem Anfang der Traumzeit Gesetz, das Akron allen Wesen gehörte, die hier lebten, mit der Ausnahme, das die Wolfwer sich fern hielten von den Siedlungen der Menschen und die Menschen nie einen Fuß dorthin setzten, wo die Wolfwer lebten – und vor allem nicht nach Siran. Und nun hatten die Sterblichen dieses Gesetz gebrochen.
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Neben ihm saß – einem Schatten gleich – die Wolfwe Farina. Niemand wusste, wie alt sie wirklich war. Viele erzählten sich, sie lebte schon seit dem Anbeginn der Zeit in den Akronbergen und vielleicht mochte das auch war sein.
Farinas Hände waren knochig, doch die Krallen waren scharf wie eh und je. Ebenso wie der Blick ihrer goldenen Augen, mit denen sie die Dunkelheit durchstreifte und letztendlich eine Richtung fixierte.
„Findest Du es nicht unpassend, gerade jetzt die Gestalt der Sterblichen anzunehmen?“ Die Stimme des Wolfwers klang verbittert.
„Es ist auch die unserige – ebenso wie der Wolf. Und bedenke: auch die Wölfe sind sterblich.“
„Die Sterblichen waren immer auf der Seite des Lichtes. Weil sie uns nicht verstehen, ebenso wenig wie die Dunkelheit und die Wälder, in die sie nie hätten kommen dürfen. Mehr noch: sie fürchten uns!“ Majantar richtete sich auf. „Ryana sah, wie eine Vaira ihren Führer mit sich nahm. Sie haben sich also endgültig für die Seite des Lichtes entschieden. Es ist also Krieg!“
Dieser Kampf musste nicht sein. Sie kamen wegen mir und wegen des Spiegels. Warum habt ihr mich nicht gehen lassen?“ Farina schloss traurig ihre goldenen Augen. „Auch die toten Leiber unserer Brüder und Schwestern liegen dort unten im Wald.“
Langsam erhob sich die alte Wolfwe. Sie blickte noch einmal auf den Anführer ihres Rudels. Als es einst darum ging, Majantar zum Führer der Wolfwer zu erwählen, hatte sie lange gezögert, ihm ihren Segen zu geben. Sie hatte noch lange Zeit um Mokar getrauert, der einst an ihrer Seite die Wolfwer durch die großen Kriege geführt hatte. Nach seinem Tod war es Farinas Wunsch gewesen, Mokars Sohn an der Spitze der Wolfwer zu sehen, doch hielt der Rat ihn für zu schwach und unerfahren. Allein seine Sippe gab ihm die Stelle seines Vaters an ihrer Spitze. Seit damals waren die Dismar in den Norden Akrons verschwunden und kamen nur selten nach Siran.
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Damals glaubte man, es würde bald wieder Krieg geben und man bräuchte einen Krieger an der Spitze. Letztlich hatte Farina nicht mehr als zustimmen können. Doch gab sie ihren Platz in der Hierarchie der Wolfwer auf. Sie verließ die Sippe Majantars, die seit dem auf dem Berg Siran lebten und suchte sich eine Höhle an der Ostseite des Berges, in der sie fortan lebte.
Majantar wusste, das sie ihn nie auf dem Platz Mokars akzeptieren würde. Sie hatte nie aufgehört, an seiner Wahl zum Führer der Wolfwer zu zweifeln. Und wie damals verschwand sie wortlos in den Schatten der Bäume.
„Wir haben sie besiegt! Nur das ist wichtig!“ rief Majantar ihr stolz hinterher. Doch weniger zu Farina, als zum Rest der Welt und vor allem zu den Sterblichen und Lichtgeborenen, die in ihr lebten.
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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von Ischade » Dienstag 6. Oktober 2015, 11:29

„Nun, ganz so leicht sollst du es nur doch nicht haben!“
Eine rauchschwarze Hand durchschnitt die Nebel der nächtlichen Wolken. Blitzen entfuhren den schmalen Fingern und berührten die oberste Spitze des Berges. Grollender Donner folgte.
Luna Majai dachte zurück – an jene Zeit, da noch Frieden herrschte zwischen den Lichtfolgern und den Nachtjägern, zwischen ihr und Helios Karim.
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Viele gaben den Menschen die Schuld daran, dass dieser Frieden zerbrach – ebenso wie der Spiegel der Göttin. Wohl mochten sie Recht haben. Die Sterblichen gehörten weder zum Volke Helios Karims noch zu dem ihrigen. Sie schufen sich ihre eigenen Götter, säten Zwietracht zwischen den Völkern und schlugen sich jeweils auf die Seite, die ihnen gerade mehr zusagte. Luna schauderte bei dem Gedanken, dass einer jener Sterblichen nun Anspruch auf einen der fünf Spiegel erhob. Und Kandira hatte ihn ausgewählt. Die Prophezeiung würde sich erfüllen; es würde erneut Krieg geben … und er hatte bereits begonnen.
Erneut durchschnitten Blitze die Nacht.
„Nein, so leicht solltest Du es nicht haben!“
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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von Ischade » Mittwoch 7. Oktober 2015, 12:50

Ein Grollen war zu vernehmen. Immer wieder drehte Assin sich um. Ihm war als bewegten sich die Wände dieser zwar kleineren doch nicht minder beeindruckenden Höhle, in welcher sie sich nun befanden. Vor ihnen, auf einem kunstvoll gearbeiteten steinernen Stuhl, saß sehr mürrisch auf seine Axt gestützt Dirkan, der älteste der Pardu. Seine Augen blickten unablässig auf Assin, während seine Finger in gleichsamer Bewegung über die zweifellos scharfe Schneide seiner Axt strichen. Ja, er sah aus, wie Assin sich einen Zwerg immer vorgestellt hatte. Seine Haare waren lang und ließen sich auf den ersten Blick in ihrer rötlichen Farbe kaum von seinem noch um ein vielfaches längeren Bart trennen. Die Kleidung bestand aus grob gewirkten, naturfarbenen Stoff. Darüber ein langes gegürtetes Kettenhemd aus dem gleichen stumpfen Eisen wie der Helm, den er trug.
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Ein wenig erinnerte Dirkan ihn an eine Zeichnung aus einem alten Buch und Assin zweifelte keinen Augenblick daran, dass der Zwerg selbst es war, der dem Zeichner als Modell gedient hatte. Vor allem glaubte er die Axt wieder zu erkennen.
„Bagrieda sagte mir, ihr wolltet mich sprechen, Fremde. Also sprecht nun oder geht!“
„Schon oft begegnete ich den stolzen Kriegern der Berge.“ Nafei trat vor. „Nun, da mich mein Weg erneut in die Berge führt, wusste ich, dass ich Euch wieder sehen musste. Auch gerade jetzt, da wir weder Wasser noch Nahrung bei uns führen.“
Es grollte erneut und der Boden unter ihnen erbebte. Erschreckt drehte Assin sich erneut um. Die Decke riss auf und feiner Sand rieselte zu Boden. Wieder sah er auf Nafei, die wirkte, als würde nichts geschehen. Auch Dirkan saß noch immer ruhig, eher gelangweilt, auf seinem Stuhl und streichelte seine Axt.
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„Auch haben wir Gold, Euch zu bezahlen.“ Fuhr Nafei fort. „Und mit wem könnte man besser handeln als mit dem Volk der Zwerge?“
Die Augen des Zwerges begannen bei dem Wort Gold zu leuchten.
„Nun gut, Ihr sollt Nahrung und Wasser bekommen. Auch bleibt heute Nacht als unsere Gäste. Doch dann geht! Bagrieda, stelle zwei Teller mehr auf unsere Tafel. Heute Nacht werden sie bleiben!“
Die stämmige Frau mit den langen rotblonden Zöpfen drehte sich mürrisch um und lief in den Gang, welcher in den großen Saal zurückführte.
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„Wir essen in einer Stunde!“, hallte es aus dem Dunkel, wo Bagrieda irgendwo einen im Weg liegenden Stein an die Wand trat. Dirkan seufzte, sprang von seinem Stuhl und folgte ihr.
„Wir sehen uns also in einer Stunde in der Halle. Ihr solltet früher da sein!“
Seine Stimme wurde untermalt von einem weiteren Grollen.
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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von Ischade » Mittwoch 7. Oktober 2015, 18:40

Die Blitze durchzuckten noch immer den Himmel und schienen auf seltsame Weise zu gefrieren. Farina saß vor ihrer Höhle und sah nach oben.
„Ja, es ist Krieg, Luna. Und wir werden nichts dagegen tun können – sie wollen den Krieg!“
Aus der Dunkelheit öffneten sich zwei silberne Augen und die Nacht erschuf vor ihr die Gestallt der Mondin. Das schattenhafte Wesen setzte sich neben die alte Wolfwe. Trauer lag in den weichen Katzenzügen ihres Gesichtes.
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„Sie hören schon lange nicht mehr auf uns. Sie brauchen und nicht mehr!“ Farina blickte zu ihrer alten Freundin.
“Es ist vorbestimmt, Du weißt! Das Ende der Traumzeit wird kommen – schon bald. Ich spüre es seit langem.“ Luna Majai sah hoch zum Himmel.
„Und trotzdem sollten wir nicht die Hände in den Schoß legen. Jemand sollte den Spiegel im Auge behalten. Nun, da er endgültig in die Hände der Sterblichen fallen wird. Und sie haben Kandira auf ihrer Seite.“
„Sterbliche?“
„Ja, ich habe ihn gesehen – begleitet von einem Wesen des Sonnenfeuers.“
„Eine Vaira, nicht wahr? Eine meiner Wolfwen sah sie ebenfalls.“
„Dann schicke eben jene, auf den Sterblichen zu achten. Vielleicht werden wir doch noch etwas tun können. Wir werden es nicht verhindern können. Es geschehe, was geschehen muss. Aber vielleicht können wir es noch ein wenig aufhallten. Vielleicht …“
Die beiden Gestalten hüllten sich in Schweigen als der Himmel zu weinen begann und ein weiterer Blitz auf die Bergkuppe niederging. Baumkronen gingen in Flammen auf. Geröll löste sich und suchte seinen Weg ins Tal. Ein Zittern rann über die Welt und riss den Boden auf. Rote Glut trat heraus und setzte das angrenzende Gestrüpp in Brand. Die Flammen kämpften gegen den stetig niederprasselnden Regen. Die Welt kämpfte ihren eigenen Krieg und es war, als wolle die namenlose Göttin selbst das Ende der Zeit einleiten. Es war nicht das erste Erdbeben in dieser Zeit und es würde mit Sicherheit auch nicht das letzte sein.
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Schweigend saßen die alte Wolfwe und die Führerin der Nachtjäger auf dem Berg Siran und beobachteten das Schauspiel mit derselben Faszination wie am Anbeginn der Zeit, als die Welt sich in den Händen der Göttin selbst erschuf. Nur damals waren Helios Karim und Dirajan, der älteste der Vaira bei ihnen. Vielleicht saßen auch sie jetzt irgendwo im hellen Land und sahen, wie die Welt, deren Geburt sie miterlebt hatten, nun langsam starb.
Und vielleicht weinten sie jetzt auch.
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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von Ischade » Samstag 10. Oktober 2015, 08:42

„Wir hätten nie in die Akronberge ziehen dürfen!“ Radan biss die Zähne zusammen, als das Mädchen die klaffende Wunde mit einer Paste aus zerriebenen Kräutern füllte.
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„Ich habe es ihm gesagt. Es war glatter Wahnsinn, die Wolfwer anzugreifen. Bei den Göttern!“
„Ihr müsst still halten. Ihr wollt doch bald wieder gesund werden.“
Er sah in zwei nachtschwarze Augen.
„Warum hast Du mich gerettet?“
„Sollte ich Euch dort im Wald liegenlassen, auf das Ihr dort Euer Ende findet? Nein, ich glaube, das Schicksal hat höheres für Euch bestimmt.“ Mit feuchten Leinentüchern bedeckte sie seine Wunden.
„Du bist eine Garmiserin. Wie ist Dein Name?“ Mit aller Kraft setzte er sich auf und betrachtete die schlanke Gestallt der jungen Frau. Für jemanden, der im Wald lebt, war sie erstaunlich gut gekleidet. Ihr fast bodenlanges schwarzes Haar war von einem Geflecht aus Goldfäden durchzogen, welche in einer Art Diadem auf ihrer Stirn endete. Das Metall bildete kaum einen Kontrast zu ihrer weichen wie Bronze schimmernden Haut. Er wusste nicht, wer oder was sie war, doch sie musste eine Garmiserin sein – daran bestand kein Zweifel.
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„Garmis interessiert mich nicht. Seine Grenzen bedeuten mit nichts. Die Macht Magrins verliert sich in den Bergen Akrons. Und ihr, dient ihr Garmis, Soldat?“
„Ich bin Radan, Oberster Führer der königlichen Heerscharen von Garmis.“ Er senkte die Stimme und seufzte lautlos. „Aber was spielt das schon noch für eine Rolle? Der König ist tot. Ich weiß nicht, wer nun in Magrin auf dem Thron sitzen wird, da König Assin keinen Sohn hatte, ja nicht einmal eine Frau oder Tochter. Die Nachbarländer werden einfallen und niemand wird da sein um Garmis zu verteidigen.“
Sanft wie eine Feder setzte sie sich an sein Bett, um neue mit Kräutersud getränkte Tücher auf seine Wunden zu legen
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„Ihr müsst nun schlafen. Legt Euch zur Ruhe.“
„Du hast mir immer noch nicht Deinen Namen gesagt.“
„Pergai, Tochter der Malija.“
„War sie nicht eine bekannte Priesterin? Aber kam sie nicht aus dem hellen Land“
„Ja, sie war eine Priesterin. Und ich bin es auch. So vertraut mir und legt Euch nun nieder!“
Radan spürte die Erschöpfung als er sich zurück in die weichen Kissen legte.
„Eine Priesterin welches Gottes?“, fragte er noch leise.
„Ich gehöre zu den Geweihten des Helios Karim. Zum Orden des Sonnentempels in Diwej.“ Verträumt sah sie aus dem Fenster, während Radan noch einmal versuchte, den Kopf zu heben.
„Diwej – liegt das im hellen Land?“
„Ja, in Simarg an der Küste des Meeres. Eine wunderschöne Stadt, erbaut aus weißem Marmor. Und oben auf einer Klippe steht der Tempel. Das goldene Dach scheint wie das Sonnenfeuer selbst. Vom Tempel aus kann man das Meer sehen. Wie flüssiges Kristall sieht es aus.“
„Mir scheint, Du liebst das helle Land. Was tust Du hier in Garmis?“ Radan kämpfte mit dem Schlaf.
„Meine Mutter kam aus Askaris. Sie erzählte mir viel über die Berge Akrons und sagte, dass meine wahre Bestimmung hier läge. Ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass sie Recht hatte. Ich meine, die Menschen hier glauben an so primitive Dinge wie Flussgeister.“
„Die Flussgeister sind wirklich! Wirklicher als es der Sonnentempel von Diwej für uns jemals sein wird.“ Radan war empört. Die Flussgeister bedeuteten Leben. Er selbst opferte ihnen jedes Jahr wenn der Schnee schmolz.
„Nun, ich glaube Garmis braucht den Glauben des Sonnenfeuers mehr als ich dachte.“, fuhr Pergai fort. „Und wer könnte die Garmiser besser lehren, als eine ihres Blutes?“ Sie blickte zu Radan. Doch er weilte bereits in der Welt seiner Träume.
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Ischade
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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von Ischade » Sonntag 11. Oktober 2015, 09:56

Es war seit Stunden Nacht, doch noch immer kniete Mefra auf dem kalten glatt geschliffenen Bodes des Mondtempels. In ihm spiegelte sich alles wie auf der glasklaren Oberfläche eines nächtlichen Sees. Und wie durch Zauberhand formte der Spiegel des Tempelsees eine Statue der Mondin.
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Die besten Bildhauer Iskais waren nach Siskin gerufen worden, um diesen Tempel aus Obsidian zu erbauen. Von weitem wirkte er oben auf dem Berg Sisk wie der geschlossene Kelch einer Kinackblüte. Nun mag es den Erbauern zu Gute gekommen sein, dass sie den kostbaren Stein nicht erst nach Siskin bringen mussten, da der Berg oberhalb des kleinen Städtchens ein gewaltiger Obsidianfelsen war. Eine Treppe führte wie der zerbrechliche Stiel der Blüte geschwungen hinauf. Die Eingänge waren von außen nicht erkennbar. Wohl fürchteten die Priesterinnen vom Tempel der Luna Majai um ihre angehäuften Schätze. Den Tempel selbst stellte das Innere der Blüte dar, in dessen Mitte die Gestalt der Göttin stand. Man hatte die Figur betont weiblich gestaltet und mit üppigen Formen ausgestattet. Den Blick jedoch schamhaft gesenkt, so das die silbernen Augen nur Sichelmonde formten. Auch war das Gleichnis mit der fruchttragenden Narbe der Blüte durchaus beabsichtigt. Galt die Mondin doch in Iskai – wie in allen dunklen Ländern – als Sinnbild der Fruchtbarkeit und Weiblichkeit. In den „Schriften der Mondin“ schrieb man ihr über dies Schönheit, Demut, Bescheidenheit und Passivität zu. Niemand wusste mehr genau, wer die Schriften der Mondin verfasst hatte, nur, das es wohl ein Mann gewesen war, der sich die Frauen Iskais ebenso wünschte. Nicht zuletzt deshalb wählte man wohl das Sinnbild der geschlossenen Blüte.
Mefra stand kurz vor ihrer Weihung zur Priesterin. Die anderen des Ordens sahen dies nicht unbedingt einstimmig für gut an. Einige, die noch immer versuchten, sie zu belehren, glaubten, sie würde sich ändern, wenn sie erst einmal ein Teil des Ordens wäre. Doch die meisten versuchten einfach, ihre Existenz zu leugnen. Nun, nicht das sie nicht an die Göttin glaubte. Mefra liebte die Mondin mehr als sonst etwas auf der Welt. Und doch war ihre Art, Luna Majai diese Liebe zu zeigen eine doch recht eigenwillige. Sie trank den Zeremoniewein nicht allein zur Ehrung der Göttin, sondern vielmehr weil er ihr schmeckte. Auch saß sie viel lieber außerhalb des Tempels, um das wahre Antlitz der Mondin zu betrachten, als die steinerne Figur im Inneren der Tempelblüte zu ehren.
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Auch dieses Mal hatte man sie zum Abendgebet draußen im Wald suchen müssen, wo eine Priesterin sie dabei ertappte, wie sie mit Hilfe eines Stockes übte, ein Schwert zu führen. Man hieß sie zu beten und die Mondin um Verzeihung zu bitten.
Das Mädchen spürte den karten Boden unter ihren Knien seit langem nicht mehr. Ihre Gedanken waren weit fort. Anstatt um Verzeihung zu bitten, träumte Mefra davon, eine Kriegerin im Dienste Luna Majais zu sein. Sie wusste, dass es für sie nie eine andere Zukunft geben würde, als Priesterin zu werden. Als Kind hatte man sie vor einem der geheimen Eingänge des Tempels gefunden. Wohl war sie das uneheliche Kind einer Iskaien gewesen, die ihre Schuld zu sühnen glaubte, so sie das Kind der Göttin schenkte. Ihre Träume machten Mefra das karge Leben im Tempel leichter. Lächelnd kniete sie vor der schwarzen Statue.
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„Warum lächelst Du? Sollst Du nicht die Mondin für Dein schändliches Benehmen um Vergebung bitten?“ Die gesenkte Stimme der Hohen Priesterin hallte an den Blütenblättern wieder. Mefra war ihre lautlosen Schritte gewohnt.
„Luna Majai hat mir verziehen.“ Mit strahlenden Augen sah sie sich um. Figressa blickte streng auf sie hinab. Wusste sie doch, dass der Wille dieses Mädchens ungebrochen blieb, solange auch immer sie beten musste.
„Wann die Göttin Dir verziehen hat, entscheide ich! Du wirst weiterbeten!“
Die hohe Priesterin verschwand ebenso lautlos, wie sie gekommen war im Inneren des Berges und Mefra war wieder allein mit ihren Träumen. Für einen Augenblick hielt sie Inne und lauschte. Das Beben hatte sich gelegt. Vielleicht hatte ihr die Göttin tatsächlich vergeben. Auch glaubte sie zu spüren, dass sie nicht allein im Raum war.
„Steh auf! Eine Kriegerin kniet nicht!“ Eine Stimme, die nur aus Dunkelheit zu bestehen schien, erfüllte das Innere der gewaltigen Kinackblüte. Sie schien von jenem Abbild der Göttin auszugehen. Erstaunt sah das Mädchen auf. Die Statue begann, sich vor ihren Augen zu verändern. Die sonst so üppigen Formen wichen dem geschmeidigen Körper einer Kriegerin. Die silbernen Augen der Katze öffneten sich zu ihrer vollen Schönheit.
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Mefra lebte mit dem Bild der Mondin seit sie sich ihrer selbst bewusst war, doch zum ersten Mal schien sie ihr vertraut. Jetzt, wo sie stolz den Kopf hob und sie ansah.
Luna Majai streckte die Hand aus und winkte die angehende Priesterin zu sich. Kaltes Mondlicht fiel auf Mefra. Das schwarze Ordensgewand glitt von ihrem Körper. Das Licht berührte ihre Haut, formte reich verzierte Schienen um Arme und Beine, ein Kettengewand über ihren Leib wie eine zweite Haut, formte Helm und Stiefel. Alles glänzte als bestände es aus Mondfeuer. Je um die Gelenke beider Hände schlossen sich Spangen, ebenso um Mittel – und Zeigefinger breite Ringe. Beides diente zur Befestigung zweier Mondsicheln, deren Mitten in ihren Handflächen lagen. Vielleicht zwei Ellen lang und zwei Finger breit, die Innenseiten scharf geschliffen und zu den Enden spitz zulaufend. Mefra kreuzte die Arme vor der Brust und stand im Eisfeuer der beiden Monde.
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„Du bist zur Kriegerin geboren, Mefra. Du lebst im wahren Glauben der Nacht.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Glaubst Du wirklich, dass ich das bin, wozu die Menschen mich gemacht haben?“
Ein erneutes Beben erschütterte den Boden. Nur schien es dieses Mal nicht aus dem Inneren der Erde zu kommen. Vielmehr war sein Ursprung der Tempel selbst. Und leicht wie eine Kinackblüte am Morgen öffneten sich die zarten Onyxblätter der Tempelblüte. Die Glaskuppel zerfiel in Sternenstaub und die nun wieder zu Stein erstarrte Gestallt der Mondin blickte stolz in den weit offenen Himmel.
„Es wird Krieg geben, Mefra. Nun ist es an Dir, Menschen zu finden, die wie Du wahrhaft glauben und an Deiner Seite kämpfen wollen – an meiner Seite, Mefra! Ist es nicht das, wovon Du immer geträumt hast? Nun gehe hinaus und kämpfe! Die Dunkelheit ist mit Dir.“ Die Stimme verhallte in der Weite des Nachthimmels und Mefra fühlte sich zum ersten Mal als Priesterin der Mondin.
„Ja Luna, ich werde für Dich kämpfen!“
Und entschlossenen Schrittes verließ sie die weit geöffnete Tempelblüte, die sich einem neuen Morgen entgegen zu strecken schien.
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Mara
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Re: Wolfsmärchen

Beitrag von Mara » Sonntag 11. Oktober 2015, 15:56

Unglaublich - voll poetischer Kraft :respekt
Man hört nicht auf, zu spielen, weil man alt wird - man wird alt, weil man aufhört, zu spielen.

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