Fredeswinds Märchenschatztruhe

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Fredeswind
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Intermezzo: Kriegsgefangen, Erlebtes 1870

Beitrag von Fredeswind » Donnerstag 22. August 2019, 10:11

Liebe Klickyweltler, :kavalier

nun noch ein paar ergänzende Worte zu meinem neuen Projekt. Die Geschichte von Theodor Fontane umfasst in meinem Buch über 160 Seiten, verständlich, dass ich diese gekürzt einstellen werde, in der Hoffnung, dass man nicht den Faden verliert. Das Buch besteht aus vier Teilen, die wiederum in mehrere Kapitel eingeteilt sind.
Da ich nicht wirklich Ahnung von der damaligen Mode/Uniformen habe, sind diese meiner Fantasie entsprungen, manchmal habe ich der Einfachheit halber original bekleidete Playmobilfiguren benutzt, insbesondere bei den Uniformen.
Außerdem waren wir im Hochsommer unterwegs und nicht im Herbst wie im Buch beschrieben.

Mein Buch ist im 'Verlag der Nation Berlin' erschienen im Jahr 1984.

Wie Fontane dazu kam nach Frankreich zu reisen, steht im Buchumschlag.

Ich zitiere:

"Mit dem Auftrag des Berliner Verlegers Rudolf von Decker, ein Buch über den Deutsch-Französischen Krieg zu schreiben, begibt sich der Dichter am 27. September 1870 auf die Reise 'Ins alte romantische Land'... Unter dem Verdacht, ein Spion zu sein, wurde er nach Besancon und später auf die Festung Oléron am Atlantik gebracht. Seine Gefangenschaft dauerte zwei Monate und zeitweise, wie er sich später gestand, war 'das Totschießen nah', bis sich seine Unschuld herausstellte."

Soweit meine Vorrede.

LG von der Märchenfee Fredeswind :fee
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Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 1

Beitrag von Fredeswind » Freitag 23. August 2019, 09:17

Kriegsgefangen, Erlebtes 1870

(frei nach Theodor Fontane, gekürzte Fassung)


"Ins alte romantische Land"

1. DOMREMY

Am 2. Oktober war ich in Toul. Ich kam von Nancy. Nancy ist eine Residenz, Toul ist ein Nest. Es machte den Eindruck auf mich wie Spandau vor dreißig Jahren. Die Kathedrale ist bewunderungswürdig.

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Kathedrale St. Etienne von Toul
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Krieg 03.JPG
Kreuzgang der Kathedrale


Das Innere einer zweiten Kirche von fast noch größerer Schönheit, aber von dem Augenblick an, wo man mit diesen mittelalterlichen Bauten fertig ist, ist man es mit Toul überhaupt.

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Kirche St. Gengoult
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Kreuzgang


In 2 Stunden hatt’ ich diese Sehenswürdigkeiten hinter mir und dennoch war ich gezwungen, 2 Tage an dieser Stelle auszuhalten. Dies hatte darin seinen Grund, dass unmittelbar südlich von Toul das Jeanne d’Arc-Land gelegen ist, und dass es, Dank dem Kriege und den Requisitionen, unmöglich war, in der ganzen Stadt einen Wagen aufzutreiben.
Zuletzt geändert von Fredeswind am Freitag 23. August 2019, 09:31, insgesamt 4-mal geändert.
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Beitrag von Fredeswind » Freitag 23. August 2019, 09:27

Die Partie selber aufzugeben schien mir untunlich, ich hätte jede Mühe und jeden Preis daran gesetzt. Endlich, am Nachmittage des zweiten Tages, hieß es: Madame Grosjean hat noch einen Wagen. Ich atmete auf. In einem schattigen Hinterhause, dicht neben der Kathedrale, fand ich die genannte Dame, die bei zurückgeschlagenen Gardinen in einem großen Himmelbette saß.

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Sie war krank, abgezehrt, hatte aber die klaren, klugen Augen, die man so oft bei hektischen Personen findet, und die nie eines Eindrucks verfehlen. Wir unterhandelten in Gegenwart zweier Gevatterinnen, die mindestens eben so gesund waren, wie Madame Grosjean krank.

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Das Geschäftliche arrangierte sich leicht, nur ein Übelstand blieb, an dem auch jetzt noch die Partie zu scheitern drohte: das einzig vorhandene Gefährt, ein char à banc, war nämlich zerbrochen und Mr. Jacques, Schmied und Stellmacher, hatte erklärt, überbürdet mit Arbeit, die Reparatur nicht machen, keinesfalls aber den Wagen abholen lassen zu können.

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Beitrag von Fredeswind » Freitag 23. August 2019, 09:42

In diesen letzten Worten schimmerte doch noch eine Hoffnung. Ich eilte also auf die Straße, engagierte zwei Artilleristen vom Regiment ‚Feldzeugmeister‘, spannte mich selbst mit vor, und im Trabe jagten wir nun mit der leichten Kalesche über das holprige Pflaster hin, in den Arbeitshof des Mr. Jacques hinein.

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Dieser war ein Hüne, also gutmütig wie alle starken Leute. Meine Beredsamkeit in Etappen Französisch amüsierte ihn ersichtlich und wir schieden als gute Freunde, nachdem er versprochen hatte, bis Sonnenuntergang die Reparatur machen zu wollen. Er hielt auch Wort.

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In der Dämmerstunde klopfte es an meine Tür. Ein Blaukittel trat ein, teilte mir mit, dass er der ‚Knecht‘ der Madame Großjean sei, und dass wir am andern Morgen 7 Uhr fahren würden. Soweit war alles gut.

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Aber der Blaukittel selbst flößte mir wenig Vertrauen ein, am wenigsten, als er schließlich versicherte: die Partie sei in einem Tage nicht zu machen, wir würden nach Vaucouleurs fahren, von dort nach Domremy und von Domremy wieder zurück nach Vaucouleurs, aber mehr sei nicht zu leisten; in Vaucouleurs müssten wir übernachten...

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Beitrag von JohnToni » Freitag 23. August 2019, 09:46

Das Fontane-Fieber hat mich gepackt :kicher
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Beitrag von Fredeswind » Freitag 23. August 2019, 09:53

Ein starker Verdacht schoss mir durch den Kopf; wer indessen viel gereist ist, weiß aus Erfahrung, dass auf solche Anwandlungen nicht allzuviel zu geben ist, und ich entließ ihn ohne Weiteres mit einem kurzen: „Eh bien, demain matin 7 heures.“ (Also gut, morgen früh 7 Uhr) Ich freute mich sehr auf diesen Ausflug.

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Das Misstrauen, das so plötzlich in mir aufgestiegen war, galt mehr dem Blaukittel in Person, als der Gesamtsituation, und dieser Person glaubte ich schlimmsten Falls Herr werden zu können. Ich lud meinen Lefaucheux-Revolver und wickelte ihn derart in meine Reisedecke, dass ich durch einen Griff von rechts her in die nun muffartige Rolle hinein, den Kolben packen und eine ‚Gefechtsstellung‘ einnehmen konnte...

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7 Uhr früh rasselte der Wagen über das Pflaster und hielt vor meinem Hotel. Ich war fertig; eine Viertelstunde später lag Toul hinter uns.

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Bis Vaucouleurs sind drei Meilen. Von rechts her traten mächtige Weingelände, in der Mitte des Abhangs mit hellleuchtenden Dörfern geschmückt, bis an die Straße heran ; nach links hin dehnten sich Fruchtfelder, dahinter Bergzüge, oft in blauer Ferne verschwimmend.

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Beitrag von Fredeswind » Freitag 23. August 2019, 10:00

Es war eine entzückende Fahrt; die Chaussee bergansteigend und wieder sich senkend.

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Dann und wann ein Flussstreifen, eine Wassermühle, dazu rund umher das Herbstlaub in hundert Farben schillernd.

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Ehe wir noch die erste große Biegung des Weges erreicht hatten, erfüllte sich, was sich immer zu erfüllen pflegt: ein Fußgänger stand am Wege und bat, aufsteigen zu dürfen. Der Kutscher stellte ihn mir als einen seiner ‚Freunde‘ vor...

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Der neue Fahrgast erwies sich als ein freundlicher, angenehmer Mann; plaudernd über Krieg und Frieden fuhren wir um 10 Uhr in Vaucouleurs hinein.

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Zuletzt geändert von Fredeswind am Freitag 23. August 2019, 10:10, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Fredeswinds Märchenschatztruhe

Beitrag von Fredeswind » Freitag 23. August 2019, 10:05

JohnToni hat geschrieben:
Freitag 23. August 2019, 09:46
Das Fontane-Fieber hat mich gepackt :kicher
:dank :dank :oops :oops

Jetzt weiß ich was mir fehlt, das Fontane-Fieber! :grinsen
Sonst hätte ich mich wohl nicht an diese Geschichte gewagt.

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Beitrag von Fredeswind » Freitag 23. August 2019, 17:42

Ein reizender kleiner Ort. Der Kutscher hatte zwei Stunden dafür festgesetzt.

Krieg 20a.JPG


Zeit genug, die alte Kapelle und das leidlich wohlerhaltene Schloss des ‚Ritters Baudricourt‘, das die Stadt beherrscht, zu besuchen.

Krieg 21, Brgkapelle.JPG
Burgkapelle

Krieg 22, Reste des Schlosses.JPG
Reste des Schlosses

Krieg 23, Porte de France.JPG
Porte de France (Französisches Tor)


Über diese Erinnerungsstätte zu berichten, ist hier nicht der Ort. Um 12 Uhr weiter nach Domremy. Domremy — das von den Bewohnern dortiger Gegend immer nur Dórmy ausgesprochen wird — liegt noch drittehalb Meilen südlich von Vaucouleurs.
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Beitrag von Fredeswind » Montag 26. August 2019, 12:27

Das Terrain verändert sich hier etwas und nimmt mehr und mehr den Charakter eines Defilees an. Die Höhenzüge zur Rechten bleiben dieselben, aber von gegenüber treten die Berge näher heran, während unmittelbar zur Linken ein breites Wiesental sich zieht, drin die Meuse fließt… Halben Wegs erreicht man Burey-en-Vaux, das Dörfchen, wohin Jeanne d‘Arc zu ihrem Oheim Durand Laxart,ging, als sie in im elterlichen Haus nicht länger wohlgelitten war...

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Endlich, bei einer Biegung des Weges, wird Domremy selbst mit einzelnen seiner blitzenden Dächer sichtbar. Nicht mit seiner Kirche. Es hat nur eine Kapelle, die, etwas tief gelegen, sich hinter Pappeln und anderem Baumwerk versteckt...

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Dorfkirche Saint-Rémy, Jeanne d’Arcs Taufkirche


Um 3 Uhr etwa fuhren wir in die Hauptstraße von Domremy hinein. Es ist ein Dorf von mittlerer Größe, eher klein. Der Eindruck trotz hellen Sonnenscheins und des weißen Anstrichs der Häuser, war ein düsterer; alles schien auf Verfall und Armut hinzudeuten.

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Ich eilte, mich diesem Eindruck zu entziehen; die geweihte Stätte, wo ‚la Pucelle‘ (Jeanne d‘Arc wird als 'la Pucelle' = 'die Jungfrau' bezeichnet) geboren wurde, schien mir der geeignetste Platz dazu. Ich brach also unverzüglich auf. Es waren nur 150 Schritt; in einem Stück Gartenland lag das ehrwürdige Gemäuer. Ich zog die Glocke an einem sauberen drahtgeflochtenen Gittertor, das den Garten von der Straße schied.

Krieg 27.JPG
Geburtshaus der Jeanne d'Arc


Eine ‚Religieuse‘ öffnete und machte die Führerin. Und siehe da, als ich erst in der Nische über der niederen Eingangstür das in Stein gemeißelte Bild der gewappneten Jungfrau, innerhalb des Hauses selbst aber, den alten eichenen Wandschrank sah, der ihr Jahre lang als Truhe gedient hatte, fiel alles Misstrauen wieder von mir ab und ich fühlte mich ganz dem Zauber dieser Stunde hingegeben.

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Beitrag von Fredeswind » Montag 26. August 2019, 12:45

Ich machte meine Notizen, trat dann zurück in den Garten und versenkte mich noch einmal in den Anblick dieses in Geschichte und Dichtung gleich gefeierten Ortes. Convolvulus rankte sich um die Stämme einiger Zypressen; Resedabeete füllten die Luft mit ihrem Duft, die Religieuse sprach leise freundliche Worte; — alles war Poesie.

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In unmittelbarer Nähe des Hauses ‚de la Pucelle‘ liegt die Kapelle. Sie ist gotisch. Einige Glasfenster, namentlich eines, dessen bunte Scheiben das Wappen der Jeanne d’Arc aufweisen, deuten auf das 15. Jahrhundert zurück, das meiste aber ist modern. Ich verweilte wohl eine Viertelstunde an dieser Stelle, mir jedes Kleinste einprägend, und trat dann wieder vor das Portal der Kapelle.

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Zu deren Linken erhebt sich eine Statue der Pucelle. Diese kniet im Gebet, presst die linke Hand aufs Herz, während sie die rechte gen Himmel hebt, — eine wohlgemeinte, aber schwache Arbeit.

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Denkmal der Leanne d'Arc


Ich klopfte eben mit meinem spanischen Rohr an der Statue umher, um mich zu vergewissern, ob es Bronze oder gebrannter Ton sei, als ich vom Café de Jeanne d’Arc her eine Gruppe von 8 bis 12 Männern auf mich zukommen sah, ziemlich eng geschlossen und unter einander flüsternd.

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Beitrag von Fredeswind » Dienstag 27. August 2019, 12:48

Ich stutzte, ließ mich aber zunächst in meiner Untersuchung nicht stören und fragte, als sie heran waren, mit Unbefangenheit: aus welchem Material die Statue gemacht sei? Man antwortete ziemlich höflich: „Aus Bronze“, schnitt aber weitere kunsthistorische Fragen, zu denen ich Lust bezeugte, durch die Gegenfrage nach meinen Papieren ab.

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Ich überreichte ein rotes Portefeuille, in dem sich meine Legitimationspapiere befanden, selbstverständlich nur preußische.

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Man suchte sich darin zurecht zu finden, kam aber nicht weit und forderte mich nunmehr auf, zu besserer Feststellung sowohl meiner Person, wie meiner Reiseberechtigung ihnen in das Wirtshaus zu folgen.Die ganze Szene, so peinlich sie war, hatte, der Gesamthaltung der Dorfbewohner nach, nicht gerade viel Bedrohliches gehabt.

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Sie schien nach unserem Eintreten in das Wirtshaus, wo bald Wein und Reimser Biskuit herum gegeben wurden, ein immer helleres Licht gewinnen zu wollen. Ich machte alle, deren Zahl von Minute zu Minute wuchs, mit dem Inhalt meiner Legitimationspapiere bekannt und setzte ihnen offen den Zweck meiner Reise und dieser speziellen Exkursion nach Domremy auseinander, was alles wohl aufgenommen wurde.

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Beitrag von Fredeswind » Dienstag 27. August 2019, 13:09

Aber der kleine Lichtstrahl, der eben durchbrechen wollte, sollte bald wieder schwinden. Ich war eben noch im besten Perorieren (Redefluss), als ein junger Bauer, der sich mit meinem Stock zu tun gemacht hatte, die Krücke aus der Stockscheide zog und mit einem: „Ah, un poignard!“ (Ah, ein Dolch), die mir zuhörende Gesellschaft überraschte. Es durchfröstelte mich etwas, weil ich klar einsah, was jetzt notwendig kommen musste.

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Ich fasste mich aber schnell und zur Initiative greifend, die allein einem Schlimmeren vorbeugen konnte, sagte ich mit Ruhe: „Naturellement, Messieurs, je suis armé.“ (Natürlich meine Herren, ich bin bewaffnet) Ich sprach es so, dass man heraushören musste: mit diesem Poignard allein ist es nicht getan.

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Man verstand mich auch sofort und von mehreren Seiten hieß es jetzt: „Ah, ah! Sans doute un revolvér“, während Andere dazwischen riefen: „Où est-il? Où sont ses effets? Cherchez! Apportez!“ (Aha, ohne Zweifel ein Revolver….Wo ist er? Wo sind seine Sachen! Sucht! Bringt sie her!) Man brachte alsbald meine Reisedecke und bestand seltsamerweise darauf, dass ich sie selber öffnen solle.

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Es war, als hätt’ ich sie mit Torpedos geladen. Ich konnte mich selbst in diesem Augenblicke eines Lächelns nicht erwehren, löste die Riemen, wickelte die Decke auseinander und überreichte meinen Revolver. Er ging von Hand zu Hand; ich konnte wahrnehmen, dass er mit sehr verschiedenen Gefühlen betrachtet wurde.

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Beitrag von Fredeswind » Dienstag 27. August 2019, 13:22

Die Situation war bereits heikel genug, aber schlimme Momente kommen nie allein; so auch hier. In eben diesem Augenblick, wo die Stimmung gegen mich ziemlich hoch ging, drängte sich durch den dichtesten Haufen ein wüst ausersehender Geselle, der, gedunsen und kurzhalsig, seiner apoplektischen Anlage durch 6 Liter Wein täglich zu Hilfe zu kommen schien, stellte sich sperrbeinig vor mich hin, schlug mit der Faust auf seine Brust und erklärte mit lallender Zunge: „Je suis le Maire.“(Ich bin der Bürgermeister)

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Dies kam mir sehr ungelegen. Ich griff zu einem verzweifelten Mittel und sagte ihm unter Verbeugung, dass ich erfreut sei, ihn zu sehen, was bei Einzelnen (ich hatte also richtig gerechnet) sofort eine gewisse Heiterkeit zu meinen Gunsten erweckte und die Gebildeteren veranlasste, die Dorfobrigkeit, die noch allerhand faselte, bei Seite zu schieben.

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Einer aus dem Kreise der Minorität trat jetzt an mich heran und fragte ruhig: ob ich damit einverstanden sei, dass man mich nach Neufchateau auf die Souspräfektur (Unterpräfektur) führe? Ich musste lächeln; ebenso gut hätte er mich fragen können, ob ich damit einverstanden sei, gehängt zu werden? Ich musste eben tragen, was über mich beschlossen wurde.

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Meine Einwilligung war kaum ausgesprochen, als man meinen Kutscher, der mich übrigens nicht verraten hatte, antrieb, seine Braunen wieder einzuspannen. Ich bezahlte meine Zehrung, die Wirtin nahm das Geld und sah mich teilnahmsvoll an. Sie schien sagen zu wollen: die Welt ist toll geworden.

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Wir stiegen auf. Rechts der Kutscher, links ein Franctireur (Freischütz), ich eingeklemmt zwischen beiden; hinter uns, auf einem Strohbündel, lagen zwei Blousenmänner. Die Sonne war im Niedergehen, der Abend klar und schön; so ging es auf Neufchateau zu.

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Beitrag von Fredeswind » Donnerstag 29. August 2019, 13:04

2. NEUFCHÂTEAU

Die Blousenmänner schliefen; mein Nachbar der Franctireur aber plauderte und rauchte seine Zigarette. Er war frisch, patriotisch, bescheiden; meine Situation flößte ihm eine gewisse Teilnahme ein. Ich fragte nach dem Souspräfekten. Der Franctireur nannte mir den Namen: Mr. Cialandri, ein Korse. Ich kann nicht sagen, dass mir bei diesem Zusatz besonders wohl geworden wäre. Ein Korse! Die Engländer haben ein Schul- und Kinderbuch, das den Titel führt: „Peter Parley’s Reise um die Welt, oder was zu wissen not tut.“ Gleich im ersten Kapitel werden die europäischen Nationen im Lapidarstil charakterisiert. Der Holländer wäscht sich viel und kaut Tabak; der Russe wäscht sich wenig und trinkt Branntwein; der Türke raucht und ruft Allah. Wie oft habe ich darüber gelacht. Im Grunde genommen stehen wir aber allen fremden Nationen gegenüber mehr oder weniger auf dem Peter-Parley-Standpunkt.

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Es sind immer nur ein, zwei Dinge, die uns, wen wir den Namen eines fremden Volkes hören, sofort entgegentreten: ein langer Zopf, oder Schlitzaugen, oder ein Nasenring. Unter einem Korsen hatte ich mir nie etwas anderes gedacht als einen kleinen braunen Kerl, der seinen Feind meuchlings niederschießt und drei Tage später von dem Bruder seines Feindes niedergeschossen wird. Man kann daraus abnehmen, welcher Trost mir aus der Mitteilung erwuchs, dass Mr. Cialandri ein Korse sei.

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Es dunkelte schon, als wir in Neufchateau einfuhren. Die Straßen waren wenig belebt, und nach einigem Hin- und Herfragen hielten wir vor der Souspräfektur. Der Anblick war der freundlichste von der Welt. Ein Gitter, ein kiesbestreuter Vorhof, dahinter eine Villa, im italienischen Castell-Styl aufgeführt...

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Wein und Pfirsich rankten am Spalier. Nach erfolgter Anmeldung wurde ich treppauf geführt. In einem mit türkischem Teppich ausgelegten Salon saßen die Damen des Hauses; ein Diener brachte eben die Lampen; ich verneigte mich.

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