Fredeswinds Märchenschatztruhe

** Öffentliches Forum - Für Eure Playmobil-Bildergeschichten

Moderatoren: KlickyWelt-Team, Littledive, Jedi, Junker Jörg, KlickyWelt-Team, KlickyWelt-Team, Littledive, Jedi, Junker Jörg, KlickyWelt-Team

Antworten
Benutzeravatar
JohnToni
Playmo-Paparazza
Beiträge: 518
Registriert: Mittwoch 27. Februar 2008, 22:11
Gender:

Re: Fredeswinds Märchenschatztruhe

Beitrag von JohnToni » Mittwoch 18. September 2019, 13:29

Oh je, die Geschichte wird zunehmend bedrückender, diese ständige Willkür und die unmäßig harten Strafen für praktisch nichts... :gruebel

Die Figur des ‚penseur libre‘ gefällt mir besonders gut, hast du die selbst zusammengesteckt Irmi? :smile

Und die Alt-Wäsche-Kammer ist der Hammer, die Fotos sind super :smile
Verena
Fan seit 1974
Benutzeravatar
Fredeswind
die Märchenfee
Beiträge: 5443
Registriert: Donnerstag 7. Mai 2009, 10:10
Gender:

Re: Fredeswinds Märchenschatztruhe

Beitrag von Fredeswind » Mittwoch 18. September 2019, 14:04

:dank :dank1 :oops :oops
JohnToni hat geschrieben:
Mittwoch 18. September 2019, 13:29
Oh je, die Geschichte wird zunehmend bedrückender, diese ständige Willkür und die unmäßig harten Strafen für praktisch nichts... :gruebel
Ja, das habe ich mir auch gedacht. Ich habe überlegt, ob ich die Herrschaften auch vorstellen soll, aber die Strafen fand ich auch krass und da musste es mit hinein.


JohnToni hat geschrieben:
Mittwoch 18. September 2019, 13:29
Die Figur des ‚penseur libre‘ gefällt mir besonders gut, hast du die selbst zusammengesteckt Irmi? :smile
Mehr oder weniger, die Arme ausgetauscht, die Rüstung weggelassen, Bart und Haare ausgetauscht und einen normalen Kopf montiert. (Grundfigur ist der schwarzhaarige Zwerg aus der Packung mir dem grünen Troll)


JohnToni hat geschrieben:
Mittwoch 18. September 2019, 13:29
Und die Alt-Wäsche-Kammer ist der Hammer, die Fotos sind super :smile
Die Kammer ist echt krass, habe auch eine ganze Weile überlegt, wie ich die darstellen kann. Scheint aber geglückt zu sein (mit Ausnahme der Spinnweben).

LG Irmtraud :fee
"Ein guter Mensch ist, wer sein Kinderherz nie verliert."
(Chinesische Weisheit)




15 JAHRE Fredeswinds Märchenschatztruhe 15 JAHRE
Benutzeravatar
Fredeswind
die Märchenfee
Beiträge: 5443
Registriert: Donnerstag 7. Mai 2009, 10:10
Gender:

Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 2

Beitrag von Fredeswind » Mittwoch 18. September 2019, 14:24

2. LYON


In alle Frühe war, ich wach, machte meine Toilette und sah alsbald eine junge Frau, die Besitzerin eines nahegelegenen Cafès erscheinen, die nach meinen Befehlen fragte. Ich bestellte möglichst viel... Denn überall bestehen rätselvoll-geheime Beziehungen zwischen Gefängnisautoritäten und den nahe gelegenen Restaurants.

Krieg 170.JPG


Die Freundlichkeit der jungen Frau, die all die Tage über fast immer selbst kam und an der fremdländischen Unterhaltungsweise ersichtlich ein Gefallen fand, tat mir wohl und war jederzeit ein Lichtschein, der in den grauen Dämmer meines Gefängnisses fiel.

Krieg 171.JPG


Durch die langen Unterhaltungen, die ich in Besançon geführt hatte… war ich über die Stimmung in der Rhônehauptstadt vollkommen aufgeklärt und hatte mit allem Fug und Recht das bange Gefühl, mich auf einem Krater zu befinden. In Besançon hatten die Obrigkeiten geherrscht, hier herrschte bereits die Masse oder stand doch jeden Augenblick auf dem Punkt die Herrschaft zu übernehmen.

Krieg 172.JPG
"Ein guter Mensch ist, wer sein Kinderherz nie verliert."
(Chinesische Weisheit)




15 JAHRE Fredeswinds Märchenschatztruhe 15 JAHRE
Benutzeravatar
Fredeswind
die Märchenfee
Beiträge: 5443
Registriert: Donnerstag 7. Mai 2009, 10:10
Gender:

Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 2

Beitrag von Fredeswind » Mittwoch 18. September 2019, 14:30

Es geschah überdies allerhand, das nicht gerade angetan war das fehlende Gefühl der Sicherheit mir wieder zu geben. Verschiedene Leute aus der Stadt, vielleicht Freunde des Gefängnisvorstandes kamen, um mit mir zu politisieren; sie waren alle artig, fast verbindlich in ihren Formen, aber sichtlich aufgeregt und zerstreut. Endlich sollte ich erfahren, was los war: Bazaine hatte kapituliert. Die Nachricht drang bis in meine vergitterte Zelle.

Krieg 173.JPG


Die letzten Besucher hatten mich gerade verlassen und ich suchte es mir in einer Art Gartenstuhl, in dem ich die Füße auf den aufgeplatzten Sack mit Kalbshaar stellte, möglichst bequem zu machen, als draußen von den Türmen der unmittelbar anstoßenden Kathedrale hernieder, ein Läuten begann, wie ich es mein Lebtag nicht gehört habe, vielleicht auch nie wieder hören werde.

Krieg 174.JPG


Eine tiefgestimmte Riesenglocke gab alle zehn Sekunden einen Schlag, eine zweite Glocke in regelmäßigen Schwingungen, rollte klangvoll und gewaltig dazwischen; hinein aber in dies großartig ernste und zugleich melodische Konzert klang das disharmonische Geschrei und Gekrächz kleiner und allerkleinster Glocken, wie wenn in Posaunentöne hinein ein halbes Dutzend Piccoloflöten kreischt.

Krieg 175.JPG
Kathedrale St. Jean


Es war tiefe Klage, lauter Hilferuf, leises Gewimmer; eine unbeschreibliche Angst bemächtigte sich meiner, hörbar schlug mir das Herz. Was war es? War ein Feuer ausgebrochen? Nein! Kein Lichtschein rötete den Himmel, keine Wagen und Spritzen rasselten über das Pflaster; nur ein lautes Geschrei von Menschenstimmen kam die Straße herauf, immer näher.

Krieg 176.JPG
"Ein guter Mensch ist, wer sein Kinderherz nie verliert."
(Chinesische Weisheit)




15 JAHRE Fredeswinds Märchenschatztruhe 15 JAHRE
Benutzeravatar
Fredeswind
die Märchenfee
Beiträge: 5443
Registriert: Donnerstag 7. Mai 2009, 10:10
Gender:

Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 2

Beitrag von Fredeswind » Donnerstag 19. September 2019, 15:08

Ich war ganz sicher, dass sich ein Volksaufstand vorbereite, dass ‚la terreur‘ heranzieht und seine Herrschaft proklamiert. Was war zu tun? Ich sah stumm vor mich hin und wartete ab. So ging es eine Viertelstunde, dann war alles wie abgeschnitten, das Geschrei draußen war vorübergezogen, alles still.

Krieg 177.JPG


In Fieberhast lief ich alle Möglichkeiten durch; endlich hatte ich es: der andere Tag (2. November) war Totentag. Dies Glockenwehklagen hatte den Tag aller Seelen eingeläutet. Der Allerseelentag verlief ruhig, weniger Geräusch als sonst war äußerlich wahrnehmbar…

Krieg 178.JPG


Noch am Abend des Allerseelentages teilte mir mein gardien-chef mit, dass ich am andern Morgen weiter eskortiert werden würde, wahrscheinlich nach Moulins. Er lud mich zugleich ein, ihn auf eine halbe Stunde in seiner Wohnung zu besuchen. Ich folgte der Einladung… und nahm dann Abschied von meinem freundlichen Wirt und Chef.

Krieg 179.JPG


Ich kroch zum letzten Male unter das Plumeau und schlief wie in meinen besten Tagen.

Krieg 180.JPG
"Ein guter Mensch ist, wer sein Kinderherz nie verliert."
(Chinesische Weisheit)




15 JAHRE Fredeswinds Märchenschatztruhe 15 JAHRE
Benutzeravatar
Fredeswind
die Märchenfee
Beiträge: 5443
Registriert: Donnerstag 7. Mai 2009, 10:10
Gender:

Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 2

Beitrag von Fredeswind » Donnerstag 19. September 2019, 15:52

3. MOULINS


Sieben Uhr am andern Morgen nach Moulins. Die Stadt Lyon war noch ziemlich still; auf dem großen Platze, an dessen einer Seite unsere Straße mündete, sah ich jetzt ein Reiterstandbild des ersten Kaisers im ersten Morgenlicht aufragend. An der Stelle… exerzierte jetzt eine ganze Brigade Mobilgarde in breiten Zugfronten. Ein paar Minuten später hatten wir unsere Plätze im Kupee eingenommen...

Das Land war ziemlich reizlos auf vielen Meilen hin. Plötzlich traten wir nun in ein Gebiet, das sich vorgesetzt zu haben schien, diese bisherigen Eindrücke, alle auf einen Schlag zu balancieren. Die Hügel schoben und drängten sich so dicht aneinander, als wären sie aus einer Riesenspielzeugschachtel genommen…


Krieg 181.JPG


Eine Stunde später fuhren wir in den Bahnhof des bischöflichen Moulins ein. Schon auf dem Bahnhofe wurden wir umringt. Allerhand Blaukittel gesellten sich hinzu, drohende Worte aussprechend. So ging es in die Stadt hinein, ein paar steile Gassen hinan… dann erreichten wir das Gefängnis. Unter Gezische und den üblichen Schmeichelworten verschwanden wir in dem niedrigen Portal.

Krieg 182.JPG


Hier war kaum Aufenthalt. Wir traten alsbald auf einen Hof hinaus, der von verschiedenen Baulichkeiten, kreuz und quer, hoch und niedrig, umstellt war und warteten unseres Loses. Den Gendarmeriewachtmeister, dem ich meine mehrfach erwähnte ‚Bestallung‘ schon vorher überreicht hatte, machte inzwischen vor dem Büropersonal meinen Anwalt.

Krieg 183.JPG


Einer der Herren zuckte verlegen die Achseln, kam mir aber bis zur Schwelle entgegen und bat mich einzutreten. Ich folgte. Es zog auf dem Hofe empfindlich nichtsdestoweniger wär ich lieber draußen geblieben, so stickig war die Luft des kleinen Zimmers, in dessen einer Ecke ich Platz nahm.

Krieg 184.JPG
"Ein guter Mensch ist, wer sein Kinderherz nie verliert."
(Chinesische Weisheit)




15 JAHRE Fredeswinds Märchenschatztruhe 15 JAHRE
Benutzeravatar
Fredeswind
die Märchenfee
Beiträge: 5443
Registriert: Donnerstag 7. Mai 2009, 10:10
Gender:

Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 2

Beitrag von Fredeswind » Freitag 20. September 2019, 11:42

Ein eiserner Ofen, gegen dessen ganzes Geschlecht ich eine Todfeindschaft unterhalte, stand glühend in der Mitte, und das Kohlengas legte sich wie betäubend um meine Sinne.Ich wurde aber mit Gewalt aus diesem Zustand gerissen: ein elegant gekleideter Herr stark, kurzhalsig, das Bild des Appoplektikus, erschien in der Tür und trat auf mich zu.

Krieg 185.JPG


Er musterte mich…; so entspann sich folgende kurze Unterhaltung:

„Vous êtes arrêté?“ (Sie sind verhaftet worden?)
„Oui.“ (Ja)
„Où donc?“ (Wo denn?)
„A Domremy.“ (In Domremy)
„Comme espion?“ (Als Spion?)
„Oui.“
„Que vous êtes?!“ (Der Sie auch sind?!)

Ich hatte nicht die Geistesgegenwart genug, einfach zu schweigen, sondern lehnte die Bezeichnung kurz ab.
Dies war offenbar ein Fehler. Indessen man ist klüger, wenn man vom Rathaus kommt. Die Unterredung selbst habe ich hierher gesetzt, weil sie die einzige Insolenz (Unverschämtheit) ist, der ich während der ganzen Gefangenschaft ausgesetzt gewesen bin. Ich hatte viel zu ertragen, auf noch mehr zu verzichten, aber nach dieser Seite hin wurde ich geschont.


Krieg 186.JPG


Inzwischen hatten die Beamten, denen mein Patent wieder viel Sorge gemacht hatte, über mich befunden und waren schlüssig geworden, dass ich, in meiner Eigenschaft als ‚officier supérieur‘ in der Infìrmerie (Krankenstube) des Hauses untergebracht werden sollte.

Krieg 187.JPG


Man entschuldigte sich einigermaßen, dass man nichts besseres habe: das ganze Gefängnis sei ein alter Donjon (Festungsturm) der Grafen von Bourbon; sehr mittelalterlich, eine Art ‚Bastille‘, ‚tout à fait dans le Style avant 1793‘ (Ganz und gar im Stil der Zeit vor1793 gemacht), setzte der eine lächelnd hinzu.

Krieg 188.JPG
"Ein guter Mensch ist, wer sein Kinderherz nie verliert."
(Chinesische Weisheit)




15 JAHRE Fredeswinds Märchenschatztruhe 15 JAHRE
Benutzeravatar
Fredeswind
die Märchenfee
Beiträge: 5443
Registriert: Donnerstag 7. Mai 2009, 10:10
Gender:

Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 2

Beitrag von Fredeswind » Freitag 20. September 2019, 12:00

Wir stiegen nun eine Art Wendeltreppe hinauf, wie sie alle Türme haben, gerieten auf einen holprigen Steinflur, der von der Seite her durch ein kleines Türfenster ein spärliches Licht erhielt, und tappten nun auf eben diese Lichtstelle zu. Es war die ‚Infirmerie‘. Der Schließer schob einen Riegel zurück und wir traten ein.

Krieg 189.JPG


Ich konnte im ersten Augenblick, bei dem Dunkel, das auch hier noch vorherrschte, nur wahrnehmen, dass wir uns in einem ungewöhnlich großen Raum befanden, ob Saal, Halle oder Kornboden, war zunächst nicht zu unterscheiden. Schreck und Heiterkeit wechselten in meiner Stimmung, alles war gespenstisch und lächerlich zugleich.

Krieg 190.JPG


Der Schließer führte mich an einen Bettstand, der für mich hergerichtet worden war, legte mein Gepäck zu Füßen und wünschte mir eine gute Nacht. Ich setzte mich neben mein Bündel auf die Eisenkante des Bettes um zunächst einige Orientierungen zu gewinnen. Dies dauerte auch nicht lange.

Krieg 191.JPG


Es war eine mächtige, quadratische Halle, in der ich mich befand, mit tiefen Fensternischen und zahlreichen Bettständen, alle mit dem Kopfende der Wand zu. Mitten durch den Raum, nach Art einer Brücke, war ein großer Bogen gespannt, der ein zweites Stockwerk trug. Unter diesem Bogen, genau im Zentrum des ganzen stand ein flacher Kochofen aus dem ein Lichtschein aufstieg derselbe, der uns... den Weg hierher gezeigt hatte.

Krieg 192.JPG
"Ein guter Mensch ist, wer sein Kinderherz nie verliert."
(Chinesische Weisheit)




15 JAHRE Fredeswinds Märchenschatztruhe 15 JAHRE
Benutzeravatar
Fredeswind
die Märchenfee
Beiträge: 5443
Registriert: Donnerstag 7. Mai 2009, 10:10
Gender:

Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 2

Beitrag von Fredeswind » Freitag 20. September 2019, 20:44

Jetzt sah ich, bei eben diesem Schimmer, dass drei... Gestalten um den Ofen saßen. Mitunter, wenn einer der drei mit einem Schüreisen in die Glut fuhr, wurd es auf einen Moment etwas heller, und ich konnte erkennen, dass es blutjunge Leute waren, die hier fröstelnd und zusammengekauert sich an der spärlichen Glut zu wärmen suchten.

Krieg 193.JPG


Ich trat jetzt an sie heran. Einer erhob sich, um mir seinen Stuhl anzubieten, was ich auch annahm. Ich versuchte nun ein Konversation; die Antworten blieben aber einsilbig, bis aus einer Ecke am Fenster her endlich meine Unterhaltungsversuche aufgenommen und ich verbindlich eingeladen wurde, doch mehr ans Licht zu rücken.

Krieg 194.JPG


Dies hätt ich nun wohl gleich bei meinem Eintreten getan, wenn die Ecke am Fenster damals schon eine Lichtecke gewesen wäre; sie war es aber erst während der letzten Minuten geworden, wo, nach mehreren gescheiterten Versuchen, eine Art Küchenlampe in Betrieb gesetzt worden war. Ich dankte jetzt dem Sprecher zunächst und rückte dann in den Lichtkreis ein.

Krieg 195.JPG


Ich befand mich nunmehr im Westend der Infirmerie,… die ausschließlich aus den beiden ‚cuisiniers‘ (Köchen) des Gefängnisses bestand. Im ersten Augenblicke wusste ich nicht, ob sie Hausangestellte oder Mitgefangene wären; doch ließen ihre eigenen Mitteilungen mich nicht lange im Zweifel darüber. Mein-und-dein-Fragen, falsche Wechsel, unmotivierte Schwüre, so schien es mir hatten sie hierher geführt.

Krieg 196.JPG
"Ein guter Mensch ist, wer sein Kinderherz nie verliert."
(Chinesische Weisheit)




15 JAHRE Fredeswinds Märchenschatztruhe 15 JAHRE
Benutzeravatar
Fredeswind
die Märchenfee
Beiträge: 5443
Registriert: Donnerstag 7. Mai 2009, 10:10
Gender:

Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 2

Beitrag von Fredeswind » Freitag 20. September 2019, 21:09

Es war ein Junger und ein Alter. Der Junge war Koch vom Fach, hatte in Homburg, Aachen, Baden-Baden die große Schule durchgemacht und peinigte mich durch lange Schilderungen des Koch- und Badelebens, die er mit Fistelstimme und einer unheimlich geschraubten Begeisterung vortrug.

Krieg 197.JPG


Gemütlicher war der Alte. Er war über sechzig, trug eine Brille mit ungewöhnlich großen Gläsern und war seines Zeichens ein lateinischer Sprachlehrer aus Moulins. Seit Jahr und Tag kochte er nun als Auxilliarcuisinier (Aushilfskoch) die Gefangenensuppe und behandelte den Wechsel der Dinge en philosophe (philosophisch). Dabei republikanisierte er scharf.

Krieg 198.JPG


Dieser Alte dirigierte nun die Infirmerie. Er hatte Streichhölzer, Salz, zwei Handtücher; sein eigentliches Ansehen beruhte aber doch auf seiner ‚Bibliothek‘ und vor allem auf jener Küchenlampe, die ich ihn eben hatte anzünden sehen. Die Lampe wurde denn auch von ihm selber wie von allen Mitgefangenen gehegt und gepflegt; alles putze an ihr herum, um sie hübsch blank zu erhalten...

Krieg 199.JPG


Der Alte, der (schon von Metier wegen) an Klassizität meinem penser libre in Besançon wenig nachstand, unterhielt mich eingängig noch eine halbe Stunde, dann ging ich zu Bett. Am Fenster brannte das Lämpchen und hatte seinen Lichtkreis.

Krieg 200.JPG


In diesem Lichtkreis saß der lateinische Lehrer und Auxilliarkoch und las in Rabous ‚La grande Armée‘... In dem weiten Rest des Zimmers herrsche Dämmerung. Das Getrappel über uns, wo Gefangene auf und ab liefen, um sich zu erwärmen, hörte endlich auf, alles wurde still. Nur die Zylinderlampe brannte dankbar die Nacht hindurch.

Krieg 201.JPG
"Ein guter Mensch ist, wer sein Kinderherz nie verliert."
(Chinesische Weisheit)




15 JAHRE Fredeswinds Märchenschatztruhe 15 JAHRE
Benutzeravatar
Fredeswind
die Märchenfee
Beiträge: 5443
Registriert: Donnerstag 7. Mai 2009, 10:10
Gender:

Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 2

Beitrag von Fredeswind » Freitag 20. September 2019, 21:26

Als ich aufstand waren die Cuisiniers nicht mehr zugegen, der Küchendienst hatte sie bereits abgerufen. Statt ihrer machten sich jetzt die drei, die am Abend vorher am Kochofen so tapfer ausgehalten hatten, im Zimmer zu schaffen, wuschen, fegten, lüfteten und beeilten sich, mir meine Wünsche zu erfüllen, mein Leben erträglich zu machen.

Krieg 202.JPG


Ich ließ Wein und Kognak kommen und half dadurch ihrem Eifer nach. Sie versicherten sämtlich, dass ihre Krankheit (wir waren ja in einer ‚Infirmerie‘) darunter nicht leiden würde. Der eine, ein Luxemburger, hatte die Gelbsucht. Ich lasse dahingestellt sein, ob der Hausarzt später die Zustände gerade dieses Patienten verbessert gefunden hat.

Krieg 203.JPG


Um zehn Uhr war ich soweit, mich, ein Buch in der Hand, in einer der großen Fensternischen setzen zu können. Diese Nischen hatten über sieben Fuß Tiefe. Zu Füßen des alten Donjon lag Moulins. Um die goldenen Spitzen seiner Kathedrale spielte das Frühlicht, und durch den Schimmer hin flogen die Tauben.

Krieg 204.JPG


Ich begann zu blättern. Es war das Buch, das der Alte bis spät in die Nacht emsig studiert hatte… Diese bloße Verherrlichung des Militärischen, ohne sittlichen Inhalt und großen Zweck, ist widerlich. Ich klappte das Buch zu und sah wieder auf die Kathedrale hinüber.

Krieg 205.JPG


Dann machte ich meinen Spaziergang von Tür zu Fenster und von Fenster zu Tür, bis Mittag die ersehnte Nachricht kam: „Morgen früh weiter ins Land hinein.“ Wohin wusste niemand.

Krieg 206.JPG
"Ein guter Mensch ist, wer sein Kinderherz nie verliert."
(Chinesische Weisheit)




15 JAHRE Fredeswinds Märchenschatztruhe 15 JAHRE
Benutzeravatar
Fredeswind
die Märchenfee
Beiträge: 5443
Registriert: Donnerstag 7. Mai 2009, 10:10
Gender:

Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 2

Beitrag von Fredeswind » Montag 23. September 2019, 20:40

4. GUÈRET


Nach meiner Berechnung musste die Weiterreise auf Tours gehen, also nach dem Sitz der ‚provisorischen Regierung‘. Ich wünschte dies und hatte bereits eine Anrede an den Minister Crémieux, fertig der dann, dacht ich seinem Kollegen Gambetta ein paar Worte zuflüstern und, nach zustimmendem Kopfnicken dieses letzteren, meine Freilassung anordnen würde. All dies scheiterte aber vorweg an einer unerbittlichen Tatsache: es ging nicht auf Tours. Die nächste Etappe hieß Guéret. Am Mittag schon, bald nach ein Uhr, trafen wir in Guéret ein. ‚Ein freundliches Städtchen‘, hatten uns die Gendarmen gesagt, die ihrer Sache selbst so sicher waren, dass sie die Karabiner, die mir immer mehr für das Volk als für uns da zu sein schienen, auf dem Bahnhof ließen…

Mit dem Eintreten in die Stadt umdrängten uns im Nu hunderte von Jungen, die in dem scheinbar menschenleeren Ort wie Pilze aus der Erde wuchsen; alte Weiber erschienen in allen Türen, und unter dem Geschrei ‚Bismaarck, Bismaark‘ (immer mit langezogenem ‚A‘) verschwanden wir endlich im Gefängnistore. Ich muss übrigens hinzufügen, dass das Ganze doch mehr den Charakter einer Volksbelustigung hatte.


Krieg 207.JPG


Das ‚Büro‘ des Gefängnisses bestand aus drei Personen, aus dem Schließer, dem gardien-chef und der Frau dieses letzteren, einer großen braunäugigen Person von etwa sechsunddreißig, die nach der Art, wie sie uns musterte, eine Vergangenheit habe musste. Inzwischen war mein vielzitiertes Beglaubigungspapier (‚comme officier supérieur‘) wieder vorgezeigt worden und schuf hier eine völlige Verwirrung.

Krieg 208.JPG


Man wusste offenbar nicht, was man daraus machen sollte. So schien auch der gardien-chef entschlossen, nicht geradezu die Existenz eines officier supérieur, aber doch die Verpflichtung seinerseits bestreiten zu wollen, in seinem Gefängnisse einen solchen unterzubringen. Man kam endlich überein gar nichts zu tun und mir die Initiative zu überlassen. Wir stiegen nunmehr die Treppe hinauf.

Krieg 209.JPG


Ein großer viereckiger Raum wurde geöffnet, die Badenser traten ein, und man wartete ersichtlich, ob ich folgen würde. Ich folgte aber nicht. Dies machte einen Eindruck, und in rascher Ausnutzung des Moments bat ich jetzt um ein apartes Zimmer. Man weigerte sich auch nicht… und ließ mich zunächst, das Weitere abwartend, in eine nebenan gelegene Zelle eintreten.

Krieg 210.JPG
"Ein guter Mensch ist, wer sein Kinderherz nie verliert."
(Chinesische Weisheit)




15 JAHRE Fredeswinds Märchenschatztruhe 15 JAHRE
Benutzeravatar
Fredeswind
die Märchenfee
Beiträge: 5443
Registriert: Donnerstag 7. Mai 2009, 10:10
Gender:

Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 2

Beitrag von Fredeswind » Montag 23. September 2019, 21:04

Die war absolut kahl. Ich sagte ruhig: „Ah, c‘est bon; seulement la fourniture là, - elle n‘est pas très complète.“ (Ah, gut: nur die Ausstattung – die ist nicht ganz vollständig.) Dieser Hohn wirkte: der gardien-chef lächelte verlegen, und ehe er sich noch besinnen konnte, schob ich ein : „Du feu me paraît indispensable; naturellement je le payerai.“ (Feuer scheint mir unentbehrlich zu sein: natürlich werde ich es bezahlen.“)

Krieg 211.JPG


Das war das erlösende Wort, und ohne Säumen wurde ich nunmehr in ein drittes Zimmer geführt, das als Schmuckkästchen der Gesamtlokalität zu gelten schien. Es war gewiss auch das Beste, was man hatte, aber immer noch trist genug, Das Bett bestand aus einem Strohsack, der Kamin war ein großes schwarzes Loch... Es wirkte beinahe unheimlicher als der Nachbarraum.

Krieg 212.JPG


Dennoch hatte ich nachgerade Erfahrung genug, um zu erkennen, dass hier die Elemente zur Entwicklung gegeben waren. Es kam nur auf die rechte Hand an. Ich stellte mich also vor den Schließer hin, versicherte ihm, dass ich einen starken Appetit hätte und ihn bitten müsse, mir ein Diner und eine Flasche vom besten Wein zu bestellen. Ich fügte einen Franc für seine vorläufige Bemühung hinzu.

Krieg 213.JPG


Ersichtlich betroffen willigte er ein. In der Tür rief ich ihn zurück und flüstere vertraulich: „Sie sorgen wohl für ein Feuer und ein gutes Bett.“ Er versprach alles. Ich hatte meinen Zweck erreicht. Diner und Wein, die mir gleichgültig waren, fielen ihm schließlich als gute Prise zu, aber drei wollene Decken sah ich sich über die Matratze breiten und im Kamin flackerte und prasselte alsbald die großen Scheite von Kastanienholz.

Krieg 214.JPG


Eine Stunde später war da Zimmer wir umgewandelt. Ich saß auf einem Stuhl…, wiegte mich hin und her und blickte träumend in die immer ruhiger werdende Flamme. Liebe freundliche Gesichter traten mir entgegen; ich sah deutlich die großen klugen Augen meines Lieblings; es war mir, als spräch sie lieb und traut in mein Ohr…

Krieg 215.JPG
"Ein guter Mensch ist, wer sein Kinderherz nie verliert."
(Chinesische Weisheit)




15 JAHRE Fredeswinds Märchenschatztruhe 15 JAHRE
Benutzeravatar
Fredeswind
die Märchenfee
Beiträge: 5443
Registriert: Donnerstag 7. Mai 2009, 10:10
Gender:

Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 2

Beitrag von Fredeswind » Dienstag 24. September 2019, 21:49

Der andere Morgen war hell und sonnig; aber ein scharfer Wind pfiff. Ich musste trotzdem in den Hof hinunter, um meine Morgentoilette zu machen. An einem steinernen Brunnentrog badete ich den Oberkörper, eine ‚Brosse à dents‘ (Zahnbürste) und ein geschliffenes Flacon mit Esprit de Menthe (Souvenirs von Langres her), die ich beide auf den breiten Rand des Steintrogs legte, nahmen sich in dieser Umgebung ziemlich wunderlich aus.

Krieg 216.JPG


Etwa um zehn Uhr erhielt ich Besuch. Der dann fast bis zum Moment meiner Weiterreise keinen Augenblick abriss. Der erste, der erschien, war ein Arzt, ein Mann von etwa sechzig, klugen Auges mit Doktorhut und Doktorstock. Er habe gehört, so führte er sich ein, dass ich aus Berlin sei; ob ich den berühmten Professor Wirscho kenne.

Krieg 217.JPG


Ich stutzte einen Augenblick, fand mich aber schnell zurecht und erkannte, dass unser Virchow gemeint sei. Das gab nun ein Hin und Her. Er sprach lebhaft und voll Verbindlichkeit gegen die Deutschen, deren Wissenschaftlichkeit er auf allen Gebieten anerkannte. Auch in der Medizin...

Krieg 218.JPG


Sehr bald nach dem Doktor erschien der Vikar. Ein großer schöner Mann, blond von freundlichsten Augen und dem gefälligsten Wesen. Überhaupt war ich von hier ab in keinem Gefängnis mehr, in dem ich nicht den Besuch eines Geistlichen, oft von zweien, empfangen hätte. Dies ist eine sehr schöne Sitte, Freilich müssen die Geistlichen danach sein...

Krieg 219.JPG
"Ein guter Mensch ist, wer sein Kinderherz nie verliert."
(Chinesische Weisheit)




15 JAHRE Fredeswinds Märchenschatztruhe 15 JAHRE
Benutzeravatar
Fredeswind
die Märchenfee
Beiträge: 5443
Registriert: Donnerstag 7. Mai 2009, 10:10
Gender:

Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 2

Beitrag von Fredeswind » Dienstag 24. September 2019, 21:56

Unsere Unterhaltung... lenkte bald ins Politische über. Neben dem lebhaften Interesse, mit dem ich folgte, lief doch immer wieder die Frage her: „Wer ist es, der diese Sprache führt? Will man mich aushorchen? Sollen sich neue Verlegenheiten für dich bereiten?“ So blieb ich vorsichtig, abwägend, auf meiner Hut…

Krieg 220.JPG


Dem Besuche des Vikars folgte der des Geistlichen selbst, ein Mann von fünfzig, heiter wie der Vikar, aber von ersichtlich anderer politischer Richtung. Er kam vorwiegend, um mir mitzuteilen, dass er seit drei Monaten einen Berliner Gast auf seiner Pfarre beherberge: den Pater Rouard, Prior des Dominikanerklosters zu Moabit.

Krieg 221.JPG


Bei Ausbruch des Krieges habe derselbe Berlin verlassen, um nicht das von Konfessions wegen bereits Erlebte von Nationalitäts wegen noch einmal zu erleben. Wie gern hätte ich ihn gesehen! In solchen Momenten wiegt nicht das, was trennt, sondern nur das, was verbindet.

Krieg 222.JPG

Aber es war zu spät. Ehe sich eine Annäherung ermöglichte, waren wir bereits auf dem Weg nach Poitiers.
"Ein guter Mensch ist, wer sein Kinderherz nie verliert."
(Chinesische Weisheit)




15 JAHRE Fredeswinds Märchenschatztruhe 15 JAHRE
Antworten