1. September 2013: Von dem Fischer un syner Fru
Die Maske ist gefallen. Bereits während der Rückfahrt hatte sich der Demiurg große Vorwürfe gemacht: „Was habe ich nur getan! Ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommt … Armer Nosi! Das habe ich nun davon, dass ich gerne mit dem Photoshop herumspiele. Ich muss den Nosi unbedingt retten.
Photoshop killed the movie star.“
Am nächsten Wochenende fuhren sie erneut aufs Land hinaus. Dieses Mal besuchten sie unter anderem Westgate-on-Sea, ein Küstenstädtchen auf der Thanet-Halbinsel. Das hatte sich der Golem so gewünscht. Dort hatte er als Schüler an einem Sprachkurs während der Sommerferien teilgenommen. Sie nutzten auch die Gelegenheit, um dem Nachbarort Margate und der Kingsgate Bay einen Besuch abzustatten.
Während der Hinfahrt machte auch Urania einen nicht gerade glücklichen Eindruck.
„Was ist mit dir?“, fragte der Demiurg nach.
„Ich habe lange über das, was Nosi gesagt hat, nachgedacht“, antwortete Urania.
Der Golem nickte.
„Es scheint so, als würde er meinem alten Ich nachtrauern“, antwortete sie.
„Hum!“, machte der Demiurg.
„Wenn ich es mir so recht überlege, dann hatte ich meine Rolle als Montauk-Halbblut auch ganz gerne“, überlegte sie laut. „Playmoraches Geschichten haben mir die Augen geöffnet.“
„Nun“, erwiderte der Golem. „Zumindest da kann ich dir helfen.“
Er zwirbelte seinen Bart.
„Wie wäre es damit?“, fragte er nach. „Du kennst den nordamerikanischen Kontinent schon sehr lange …“
Urania sah ihn verwundert an.
„Du stammst zwar aus Indien, aber das hinderte dich nicht daran, Nordamerika mehrfach bereist zu haben“, fuhr der Golem fort. „Das erste Mal war um 1001 n. u. Z. Über die Handelsrouten der Waräger bist du in den Norden gelangt. An Bord des Schiffes von Leif Eriksson bist du dann nach Vinland gelangt. Im Gegensatz zu den Normannen bist du geblieben. Und lebtest unter ihnen und wurdest eine von ihnen.“
„Das ist gut!“, freute Urania sich. „Sehr gut!“
Die Phantasie ihres Demiurg schien grenzenlos.
„1422 hast du dann Nordamerika wieder verlassen“, machte er weiter. „Der chinesische Admiral Zhèng He nahm dich auf seiner Weltumsegelung mit. Du warst ihm eine treue Übersetzerin.
Als 1492 Kolumbus Amerika wiederentdeckte, warst du als Seemann verkleidet ebenfalls an Bord der Santa Maria. Dann kam die Erste Türkenbelagerung Wiens und du lerntest Nosi kennen. 1595 lebtest du dann erneut unter Indianern. Du wurdest „Matoaka“ („die Verspielte“, „die, die alles durcheinander bringt“) genannt und zusammen mit dem britischen Virginia-Pflanzer John Rolfe hast du als Gesandte der Indianer den englischen Königshof besucht.“
Urania lachte.
„Ja, genauso war’s“, stimmte sie ihm zu. „Und 1767 habe ich schließlich als Irokesin die Bestie von Gévaudan gejagt.“
Der Golem nickte.
„So schwer ist das eigentlich nicht“, stellte er fest. „Selbst wenn du aus Indien stammst, so kannst du dennoch eine Indianerin ehrenhalber sein.“
Urania war zufrieden. Sie hatten Westgate-on-Sea erreicht.
„Ich möchte auch, dass meine Haut wieder dunkler ist“, wünschte sie sich.
„Alles ist möglich“, sagte der Demiurg. Allerdings war ein solcher Wunsch in Westgate mutig.
„Was sollte eigentlich das Rumgeknutsche mit Genève auf der Fähre nach Großbritannien?“, wollte Urania wissen, während sie zum Strand liefen. „Du lässt wohl nichts anbrennen?“
„Nein, warum?“; erwiderte der Demiurg. „Wann habe ich schon einmal die Gelegenheit, eine ganze Stadt zu küssen?“
„Du hast MICH noch nie geküsst!“, hielt Urania ihm vor.
„Versteh einer die Frauen!“, dachte sich der Golem und zu Urania gewandt sagte er: „Oh, ich ahnte nicht. Wenn ich das gewusst hätte …“
„Das war doch nur ein Scherz“, wiegelte Urania ab.
„Ach, so, ja …“, verstand der Demiurg gar nichts mehr. „Was bist du nur für ein Früchtchen.“
„An meiner promiskuren Art bist ganz alleine du schuld!“, schimpfte sie. „Du hast mich zu dem gemacht, was ich bin!“
„Sag bloß, DAS stört dich auch?“, fragte der Golem nach.
„I wo“, gab Urania zurück und der Demiurg war erleichtert.
„Ich weiß nicht, ob es so eine gute Idee war, die Schweizer Staatsbürgerschaft wieder anzunehmen“, stellte Urania später in der Kingsgate Bay fest.
„Hum!“, gab der Golem zu bedenken. „Andere würden wer weiß was darum geben!“
„Ich weiß“, erwiderte Urania. „ Und ich will Genève gegenüber auch nicht undankbar erscheinen … Am liebsten wäre ich jedoch wieder staatenlos. Eine Vagabundin – eine Herumtreiberin – eine Kosmopolitin.“
Der Demiurg seufzte.
„Das ist nun wirklich ein Fall für den Wunschbutt!“, entschied er. Der Golem stellte sich an den Strand und rief aufs Meer hinaus: „
Manntje, Manntje, Timpe Te, Buttje, Buttje in der See, de Fru de will nich so, as ik wol will.“
Die See wurde erst grün, dann blauviolett, dann schwarz, und schließlich zog ein Sturm auf. Der griesgrämige Wunschbutt erschien und dann war nichts mehr so, wie es vorher einmal war.
„
Ga man hen. Se sitt all weder in’n Pissputt.“, sprach der Butt abschließend formelhaft und verschwand wieder.
Als sie am frühen Abend zurück in London waren, war dem Demiurg etwas eingefallen.
„Ich weiß, was wir mit Nosi machen. Ich hab da eine Idee!“, klang er sehr zuversichtlich.
P. S. Simone & Didier: Danke für eure Geduld!
OST:
Aria - Shard Of Ice.
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