Fredeswinds Märchenschatztruhe

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Fredeswind
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Intermezzo: Mit Fontane durch Frankreich, Teil 3

Beitrag von Fredeswind » Dienstag 1. Oktober 2019, 23:32

3. DIE ZITADELLE

Inzwischen wurde gemeldet, dass der ‚Fournisseur‘ (Lieferant) eingetroffen sei, eine behäbige Person mit rotblondem Bart und Klapphut, etwas Engländer, etwas Hecker-Struve und ganz Fournisseur. Unter seinem Beistand sollte eine Wohnung für ,ich gesucht werden, und zwar auf der Zitadelle.

(Anmerkung der Redaktion: Friedrich Hecker und Gustav Struve, waren Führer des badischen Aufstandes, Mai 1849)

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Wie schritten zu dritt dieser zu, passierten ein Glacis (Brustwehr, Abhang), dann ein paar Brücken und Tore und standen nunmehr auf einem Triangelhof, dessen drei Seiten von ebenso vielen kasernenartigen Gebäuden umstellt waren. Zwei davon waren bereits mit Gefangenen belegt; die dritte Seite, die die Offiziersquartiere enthielt, war noch frei.

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Wir traten in diese dritte Seite ein. „Ich muss nun schon ein Übriges für Sie tun“, sagte der Kommandant, „wie könnten Sie Ihre Tage besser verbringen als angesichts des ewigen Meeres!“ Damit wurde ein Zimmer aufgeschlossen, das die prosaische Inschrift trug: ‚No. 7: Lieutenant, das aber allerdings durch seine großen Fenster hindurch einen entzückenden Blick auf das Meer gestattete.

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Ich schwankte einen Augenblick, dann hatte ich meine Wahl getroffen und erwiderte ihm lachend, dass ich nicht gern zum zweiten Male als Opfer des Romantizismus fallen möchte; Aussicht sei viel, aber Komfort sei mehr. „Nehmen wir ein anderes.“ Damit traten wir in einen Nebenraum, der den Eindruck machte, als müsse die Herdplatte hier noch warm sein, als sei das ‚Camp‘ an dieser Stelle vor wenig Stunden erst abgebrochen. Vielleicht war es so…

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Beitrag von Fredeswind » Dienstag 1. Oktober 2019, 23:48

Aber es konnte mich auch hier nicht halten, denn die Fensterscheiben, bis zu beträchtlicher Höhe, waren mit lauter aus rotem Papier geschnittenen Teufelchen beklebt, die sich untereinander neckten. Meine Nerven wären diesem Anblick nicht gewachsen gewesen, und so schieden wir den auch von diesem Raume. Ein drittes Zimmer, ‚No. 9: Capitaine‘ entsprach endlich meinen Wünschen. Der Kommandant empfahl sich, und der Fournisseur fing an sich Notizen zu machen.

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Eine Stunde später wurde ein Karren abgeladen; Matratzen, Decken, Gardinen erschienen in buntem Durcheinander... Beinahe gleichzeitig war aus der benachbarten Kantine ein alter, dort beschäftigter Invalide bei mir eingetreten, um sein vorläufigen Dienst anzubieten.

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Ich bat ihn mir Holz und Kognak zu bringen, um meinem Frösteln, denn es regnete und stürmte wieder, auf doppeltem Wege beikommen zu können.Der Alte lächelte. Ich hätte nichts fordern können, was ihm lieber gewesen wäre. Eine Viertelstunde später – ich war inzwischen allein geblieben und lief auf und ab, um mich zu erwärmen.

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Er erschien er mit einer unglaublichen Menge Holz und eine Quartflasche ‚Eau de vie‘ (Branntwein, genannt Wasser des Lebens)… Das Holz waren gespaltenen Eichenrippen eines gestrandeten Schiffes.

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Beitrag von Fredeswind » Dienstag 1. Oktober 2019, 23:58

Der Alte packte einen wahren Scheiterhaufen auf, schob einige Strohwische drunter und verschwand mit der Versicherung, dass es gleich brennen würde! Es brannte auch, aber wie! Große Massen Rauch schlugen in das Zimmer hinein; ich begann zu blasen und pusten, opferte ein ganze Schachtel Streichhölzer; alles umsonst es blieb ein Schwelfeuer,

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Die Augen fingen an zu tränen, und ich nahm endlich den Wasserkrug, um dieser Herrlichkeit ein Ende zu machen. Mir blieb nichts als der Kognak. Ich stürzte ein viertel Glas voll hinunter. Furchtbar! Wer aber will dieses blinde Vertrauen tadeln?

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Nach einer Stunde kam der Alte. Er sah listig genug aus; wenigstens schien es mir so. Ich lehnte entrüstet jede Konversation ab, stellte die dicke Bouteille (Flasche) auf den Scheiterhaufen, der eigentlich nie gebrannt hatte, und forderte ihn auf, persönlich und sachlich zu verschwinden.

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Das war es, was er gewollt hatte. Er nickte, packte alles auf seinen Arm, steckte die Flasche in seinen weit abstehenden Westenflügel und empfahl sich unter den landesüblichen Höflichkeitsformen. – Ich höre noch sein: „Bon soir, Monsieur.“

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Beitrag von Fredeswind » Mittwoch 2. Oktober 2019, 15:37

3. RASUMOFSKY

Bequartiert war ich nun; alles war da nur die oberste Dienstcharge, die zu besetzen war, war noch unbesetzt geblieben, - der Bursche fehlte noch. Aber auch darüber wurde ich beruhigt: „Demain matin.“ Demain matin kam.

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Beinahe gleichzeitig mit ihm erschien ein Hausbeamter, um mir vorbehaltlich meiner Zustimmung, meinen zukünftigen Burschen, den Verwalter meiner Wirtschaft, vorzustellen, Max Rasumofsky: er gefiel mir auf der Stelle, dass er ein schwarzer Husar war, besagten die Überreste seiner Uniform, dass er Pole war entnahm ich seinem Namen, dass er Schneider war, ergaben die ersten Recherchen…

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Ich griff zu und hatte meine Wahl nicht zu bereuen. Er war, was der militärische terminus technicus schneidig und findig nennt. Unschätzbare Eigenschaften; im besondern auch hier. Seine ‚Schneidigkeit‘ fiel natürlich in die Zeit vor seiner Gefangenschaft, und was die Beweise dafür angeht, so bin ich zum besten Teile auf seine eigenen Berichterstattung angewiesen…

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Wenn mir die Schneidigkeit Rasumofskys so gut wie gewiss war, so war ich seiner Findigkeit ganz und gar sicher. Es war unglaublich, was er alles ‚gefunden‘ hatte, namentlich in den Tagen, die dem Siege von Wörth unmittelbar folgten. Mehrere Spiele Karten, eine Straußenfeder, eine schwarzen Schleier mit Goldsternchen, eine Flasche Anisette. Diese war das Beste. Ein paar französische Generalsepauletten (Schulterstücke einer Generalsuniform) begleiteten ihn mehrere Tage. Aber er brachte es mit ihnen nicht über einen idealen Genuss hinaus, der zuletzt zu eine freiwilligen Trennug führte. „Wo haben Sie sie gelassen?“ – „Ich habe sie wieder weggeworfen.“ … Die Freude lachte ihm aus den Augen, das blanke Spielzeug mal besessen zu haben. Das ist die echte Findigkeit. Die Freude auch an dem, was man nicht brauchen kann.

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Beitrag von Fredeswind » Mittwoch 2. Oktober 2019, 15:47

Ich wäre aber undankbar, wenn ich Rasumofskys Findigkeit lediglich in die Vergangenheit stellen wollte, dass dieselbe auch bis in die Gegenwart hineinragt. Auch hier noch unter erschwerendstenten Umständen ‚findet’ er beständig, und zwar in echter Burschentreue nicht für sich, sondern mir zuliebe. Es tauchen Schuhbürsten, Teelöffel, Lichtscheren (Dochtscheren) auf, deren Ursprung nachzuforschen ich wohlweislich unterlasse.

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Seine eigentlichste Begabung zeigt er aber im Anfahren von Holz. Ich habe hierüber längere Unterredungen mit ihm gehabt… Ich habe endlich geschwiegen, was er als Zustimmung gedeutet hat. Seitdem verfolgt er mit scharfem Auge jede morsche oder durchgetrennte Diele, das handbreite Loch um das Doppelte oder Dreifache erweiternd…

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Jeden Morgen, wenn das Feuer angezündet und das Teewasser in die ersten Kohlen gestellt ist, tritt Rasumofsky mit einer gewissen Adrettheit an mein Bett. Um von der Stuhllehne den Rock, den Überzieher die Beinkleider zu nehmen und damit im Flur, wo sich auch wirklich ein großer Kleiderriegel befindet, zu verschwinden.

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Innerhalb kürzester Zeit ist er wieder da, so dass ich mich überzeugt halte, dass er der gesamten Kleiderdreiheit nur eine frische Brise und den Anblick der Morgensonne gönnt. Mit komischer Sorglichkeit breitet er bei seinem Wiedererscheinen die drei Kleidungsstüche über die gleiche Lehne aus, von der er sie eben entführte.

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Beitrag von Fredeswind » Mittwoch 2. Oktober 2019, 15:56

Zwei Stunden später mutatis mutandis (in Abänderung) erlebt es seine Wiederholung. Ich werde dann gebeten, eine halbe Stunde spazierenzugehen, um durch die Zimmerreinigungsprozedur nicht gestört zu werden. Auch hier kommt es ausschließlich zu einer Lüftung, dann ziehe ich in die lieben alten Räume wieder ein. Die Ordnung der Dinge ist inzwischen durch keine übergeschäftige Hand gestört worden.

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Wir leben gut, einträchtig, friedfertig miteinander, ich teile meine Neuigkeiten und meine Mahlzeiten mit ihm, und mein Kognakkonto bei Mr. Vimenet, dem kleinen freundlichen Kaufmann in der Stadt, wird lediglich ihm zuliebe mit immer neuen Francs beschwert....

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In unsern politischen Anschauungen sind wir einig. Sie finden immer wieder in dem Satze Ausdruck, dass der Friede unterzeichnet werden müsse, damit wir Weihnachten zu Hause sind… Das Weihnachten zu Hause steht wohl noch manchem Gefangenen und Nichtgefangenen im Vordergrund. Die diesen Egoismus abgetan haben und in großem Empfinden über sich selbst hinauswachsen, ihre Zahl ist klein. Warum sollte Rasumofsky unter diesen wenigen sein!

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Beitrag von Fredeswind » Donnerstag 3. Oktober 2019, 23:02

5. BLANCHE


Auch ein weibliches Wesen ist um mich her, das in meinem Haushalt die Ergänzung zu Rasumofsky bildet. Es ist, um mich an Rückertschen Anklängen zu bewegen, eine feine Reine, schlanke Kleine, die ich mit Rücksicht auf ihre Erscheinung Blanche getauft habe…. Sie ist noch ganz Kind, ganz unbefangen, fasst das Leben von der heiteren und Vergnügungsseite auf und betrachtet sich selbst als bloßes Ornament des Daseins, kennt keine andere Pflicht als die, sich zu putzen und streicheln zu lassen...

Ich engagierte sie zunächst aus bloßen Nützlichkeitsrücksichten und erwartete von ihr, wie jetzt das Modewort lautet, einen ‚Guerre d’extermination‘ (Ausrottungskrieg) gegen den Erbfeind; aber niemals ist eine Erwartung gründlicher getäuscht worden. Sie scheint kaum zu wissen, dass es Feinde gibt, geschweige Erbfeinde.


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Über Nacht aber, wenn der Feind seine Vorposten schickt, horcht sie auf spinnt dann einen Augenblick vergnüglich und schläft wieder ein. Dennoch – dies Anerkenntnis bin ich ihr schuldig – übt sie einen gewissen Einfluss, aber freilich ohne die geringste Ahnung davon. Sie ist ganz Spielzeug, und ich habe es längst aufgegeben, Ernsteres von ihr zu erwarten. Es liegt nicht an ihr.

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Sie ist mir Schauspiel, Augenweide, Zirkusschönheit, im Hoch- und Weitsprung gleich ausgezeichnet. Blanche, wie gesagt, ist die Ergänzung zu Rasumofsky; was jener meinem Geiste ist, ist diese meinen Sinnen. Wenn ich mit dem ersteren… die Tagesangelegenheiten behandle, also in rascher Reihenfolge die Fragen stelle: „Wie ist das Wetter? Was macht Paris? Nichts von Frieden?“ – so gehört mein Auge ganz der kleinen Weißen, die wie ein alabasterner Briefbeschwerer auf meinem Schreibtisch neben mir liegt...

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Um acht Uhr, nachdem wir unsern Tee genommen, für den sie eine distinguierte Vorliebe zeigt, gehen wir zu Bett; sie ist aber noch nicht müde und unterhält mich eine Viertelstunde lang durch die wunderbarsten Kapriolen. Um halb neun endlich, wo abwechselnd ein Trompeter von den Schleswiger Husaren und den Garde-Ulanen auf den Kasernenhof tritt, um die preußischen Kavalleriesignale zu blasen, wird Blanche stiller und schiebt sich, wie zu einer letzten Liebkosung, an meinen Hals zwischen Kopf und Schulter.

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So vergehen Minuten. Eine viertel Stunde später tritt aus dem Kasernenflügel gegenüber ein französischer Trompeter auf den Hof hinaus und antwortet den Preußen oder besiegelt den Appell. Nun weiß Blanche, dass es Zeit ist. Sie erhebt sich summend und spinnend und legt sich am Fußende des Bettes auf die vierfach zusammengefaltete Reisedecke.

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Das Feuer im Kamin erlischt. So schlafen wir, bis die Reveille (Wecksignal) uns weckt.
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Beitrag von Fredeswind » Freitag 4. Oktober 2019, 21:44

6. LE REMPART

Um acht Uhr früh, oder wenig später trat ich allmorgendlich auf den Wallgang (le rempart), der sich auf dem fünfzehn Schritt breiten Terrain zwischen meiner Kaserne und dem Meer hinzog... Der Rempart selber war nicht ein gewöhnlicher zugeschrägter Wall mit Grasdossierung und einem Fußsteig, sondern aus senkrechten Quadern ausgeführtes Mauerwerk.


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Diese Morgenspaziergänge, denen ich, bei schönem Wetter, noch eine kurze Mittags- und Nachmittagspromenade folgen ließ, waren meine besondere Freude, und ich kann sagen, die schönsten und poetischten Stunden meiner Oléron-Tage auf diesem prächtigen Rempart zugebracht zu haben.

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Je nach der Stunde zu der ich heraustrat, fand ich Flut oder Ebbe, begrüßte ich das steigende oder schwindende Meer. War Ebbe, so lag der Wasserarm, der unsere Insel vom Festlande trennte zur Hälfte wie eine Sandbank da. Unmittelbar zu Füßen des Remparts, trieben die hochbeinigen Strandläufer ihr possierliches Spiel; mit weißer Brust und schwarzen Flügeln, trippelnd, pfeifend und nahrungssuchend, liefen sie herdenweise über den lehmigen Grund hin.

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Das war ein eigentümliches Bild, aber groß und erhebend war es, wenn nun die Flut unhörbar herankam, immer wachsend, immer steigend, bis die erste leise Brandungswelle das Mauerwerk der hervorspringenden Bastion und eine Minute später den Quaderfuß des zurückgelegenen Rempart traf...

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Selbst an Regentagen, die auch ihren Zauber hatten, versuchte ich auf kurze Minuten hin an dieser bevorzugten Stelle auszuhalten. Nur die Sturmtage, an denen im Monat November keinen Mangel war, fegten mich gewaltsam vom Rempart hinunter und zwangen mich, meinen Morgenspaziergang unten, auf dem zehn Schritt breiten Gartenstreifen zu machen. Der Sturm heulte dann über mich hin. Aber auch ein bloßes Drüberhingehen reichte schon aus, alles was hier unten noch grünte, erzittern zu machen...

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Ein Gefangener ist empfindlich gegen solche Eindrücke. Sie loszuwerden trat ich dann… rasch auf den Rempart hinaus. Es wetterte, ich hielt den Hut mit beiden Händen, und die Gischt sprang bis über die Brüstung. Aber ich atmete auf und sah nach Osten hin, wo mir die Heimat lag und Freiheit.

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Re: Fredeswinds Märchenschatztruhe

Beitrag von Schoko-Queen » Freitag 4. Oktober 2019, 21:57

Die Bilder, die geschilderten Stimmungen, so schön, so poetisch... :love

Danke!

LG Schoko-Queen :smile
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Re: Fredeswinds Märchenschatztruhe

Beitrag von Askin » Freitag 4. Oktober 2019, 22:00

Ich finde auch Deine Bilder und die Geschichte Fontane durch Frankreich wirklich sehr schön. :great :zehn :zehn :zehn :zehn
Ich freue mich immer, wenn es wieder weiter geht!!!! :rockcool :hop

Liebe Grüße
Frank
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Re: Fredeswinds Märchenschatztruhe

Beitrag von Fredeswind » Samstag 5. Oktober 2019, 20:44

Schoko-Queen hat geschrieben:
Freitag 4. Oktober 2019, 21:57
Die Bilder, die geschilderten Stimmungen, so schön, so poetisch... :love

Danke!

LG Schoko-Queen :smile
:dank :dank1 :oops :oops

Ja, Fontane konnte schon schreiben. :pfeif
Schön, dass das auch in meinen Bildern herüberzukommen scheint. :oops

LG von der Märchenfee Fredeswind :fee
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Re: Fredeswinds Märchenschatztruhe

Beitrag von Fredeswind » Samstag 5. Oktober 2019, 20:48

Askin hat geschrieben:
Freitag 4. Oktober 2019, 22:00
Ich finde auch Deine Bilder und die Geschichte Fontane durch Frankreich wirklich sehr schön. :great :zehn :zehn :zehn :zehn
Ich freue mich immer, wenn es wieder weiter geht!!!! :rockcool :hop

Liebe Grüße
Frank
:dank :dank1 :oops :oops

Ehrlich gestanden, ich war anfangs skeptisch, wie die Geschichte hier aufgenommen wird. :gruebel
Ist halt Literatur und normal nicht jedermanns Sache. Aber anscheinend war meine Skepsis unbegründet.

LG von der Märchenfee Fredeswind :fee
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Re: Fredeswinds Märchenschatztruhe

Beitrag von Askin » Samstag 5. Oktober 2019, 20:50

Deine Skepsis war vollkommen unbegründet. :great

Danke für die sehr liebevolle und gekonnte Umsetzung :dank

Liebe Grüße
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Beitrag von Fredeswind » Samstag 5. Oktober 2019, 21:05

7. MITTAG

Der Vormittag, der dem Morgenspaziergang folgte, gehörte der Arbeit. Himmlische Ruhe! Wie leicht, wie behaglich es aus der Feder floss! So kam Mittag heran.


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Um zwölf präzis klopfte es, und auf mein nach Gutdünken abgegebenes „Entrez“ oder „Herein“ erschien Madame la Cantinière. eine freundliche, bleichsüchtige Frau, die nach unendlichen Knicksen und Begrüßungen und unter einem Schwall von Redensarten, aus denen ich mir nur die Stichworte heraussuchte, meine Hauptmahlzeit servierte…

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Ein Tisch existierte nicht; der Schreibtisch war sakrosankt; so blieb denn nur die Kommode, die zum, Zeichen ihrer Doppelbestimmung und sozusagen als Tischtuch in Permanenz eine auseinandergefaltete Serviette trug. Einen Wechsel derselben habe ich nicht erlebt. Auf diese Unterlage nun stellte Madame la Cantinière das zusammengeklappte Tellerpaar, das wie eine Muschel aussah...

An vier von fünf Tagen war es ein Stück in die Pfanne geworfenes Rindfleisch, ein Rundstück mit gedörrten Kartoffeln und Seesalz garniert… Dazu trank ich Landwein, der einen unglaublich schönen Namen hatte, aber nach dumpfem Fass schmeckte und dem ich durch Zucker und Wasser aufzuhelfen suchte.


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Was die Arrangements angeht, so darf ich wohl hinzusetzen, dass ich meine Mahlzeit notgedrungen im Stehen einnahm, da die Kommodenkästchen keinen Stuhl gestatteten. Dies war die gebrechliche Seite des Diners, aber das Dessert brachte wieder alles ins Reine... Ich schälte… eine große Goldreinette und begann nun, Scheibe für Scheibe mit immer neuer Freudigkeit zu genießen.

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Währenddessen spielte Blanche mit den Schalen und neben mir brodelte das Wasser, das zehn Minuten später braun und duftig in das von dem Landwein desinfizierte Glas floss. Im Schlürfen des geliebten Trankes vergaß ich vieles, und vieles stieg lächelnd und grüßend herauf.

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Re: Fredeswinds Märchenschatztruhe

Beitrag von Domi Silvercolt » Samstag 5. Oktober 2019, 21:12

Wirklich sehr liebevoll gestaltete Fotos! :great

Liebe Grüße
Domi
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