Liebes Tagebuch!
Nein, nein, heute gehe ich nicht schon wieder in den Zoo.
Will Kiki ja nicht dauernd allein lassen.
Lieber einen sehr gemütlichen Tag einschieben.
Der Tag ist schön, warm und klar heute. Ich bin viel draußen, hinterm Haus.
Meine Blumen sehen ziemlich ramponiert aus.
Also wird etwas gegärtnert und vor allem sehr viel gespielt mit meinen Mitbewohnern.
Alle vertragen sich. Das ist richtig schön.
Später etwas Feines trinken und etwas fernsehen; naja, wenigstens
mal die Nachrichten schauen.
Oha, die Reginalnachrichten sind heute ja sehr interessant!
Bei den Bauarbeiten für den Zoo ist eine Leiche gefunden worden.
Die Baustelle an der Sudanstraße ist abgesperrt. Die Kripo war da.
Sie meint, das sei ein älteres Skelett.
Jetzt wartet man auch die Fachleute vom archäologischen Museum, die morgen
eintreffen werden. Der Bau des Löwengeheges wird sich dadurch wohl erheblich verzögern.
Ich bin wie elektrifiziert und renne zum Computer.
Google Maps muss her. Satellitenaufnahmen der Gegend. Wikipedia.
Eben alles, was mir auf die Schnelle einfällt.
Da ist es! Sudanstraße!
Das war früher ein Sumpfgebiet!
Und in dem alten Buch auf dem Schloss stand doch, dass der Besitzer von Drachenhort,
den der erste Ambach besiegte, in diesem Sumpf versenkt wurde.
Könnte das ein Hinweis auf den Fluch sein?
Das ist doch irrwitzig! Aber die weiße Frau spukte zuvor nur auf der Burg.
Was, wenn es da doch einen Zusammenhang gibt?
Ich bin richtig aufgeregt.
Wie dumm, dass ich keine Telefonnummer von Chris habe.
Ich würde meine Gedanken gern mit ihm teilen.
Die Visitenkarte von Eddy fällt mir ein. Na gut, rufe ich halt den an.
Mist, steht keine Telefonnummer drauf. Nur eine Mailadresse.
Also schreibe ich ihm, dass ich ihn ganz, ganz, ganz dringend sprechen müsse.
Warten.
Menno, das dauert!
Pling - sie haben Post. Komisch, ist nur ein Link.
Ich drücke drauf und lande in einem Chatroom, den er wohl schnell eingerichtet hat.
Hastig tippe ich meine Vermutung.
»Du spinnst«, ist seine trockene Antwort.
»Kann sein«, gebe ich zu. »Sag mir einfach, ob die Baustelle eine Alarmanlage hat.«
»Klar hat sie das. Außerdem laufen dort nachts die Löwen rum. Du willst da nicht rein, oder?«
»Ich muss«, hämmere ich in die Tastatur, »sonst habe ich keine Ruhe mehr.
Ich klettere über den Bretterzaun.«
»Lass es!«
»Keine Chance. Gibt es eine Stelle, wo ich keinen Alarm auslöse?"
»Natürlich nicht, wenn ich das installiere.« Es dauert etwas, bis er weiterschreibt:
»Wir treffen uns um Mitternacht an der kleinen Tür auf der Rückseite der Baustelle.«
Na also, geht doch!
Eddy hat Chris verständigt und bringt ihn mit. Sehr gut.
Wäre zwar noch besser, wenn auch Gernot dabei wäre, aber der ist ja auf Hochzeitsreise.
Falls hier überhaupt die Ursache des Fluches ist, werden wohl auch zwei Ambachs
genügen, um den Geist der weißen Frau zu besänftigen.
»Was ist das denn?« staunt Eddy, als er Kiki sieht.
»Mein persönlicher Löwenbändiger«, gebe ich grinsend zur Antwort.
»Was in der Wüste funktionierte, kann vielleicht auch hier klappen.«
Eddy knurrt ein unverständliches Wort, macht sich an der Alarmanlage zu schaffen und
öffnet die kleine Hintertür. Nebenbei erklärt ihm Chris, dass ich Kiki klugerweise versteckt halte,
damit niemand auf dumme Ideen kommen kann.
Wir schleichen uns auf die Baustelle. Wirklich laufen hier Löwen frei herum.
Chris hat ein Gewehr mit Betäubungsmunition mitgebracht. Sicher ist sicher.
Aber er lässt die Waffe noch verstaunt und rät lieber zur Umkehr.
»Ich glaube zwar auch, dass Mara einen Knall hat«, erwidert ihm Eddy, »aber spätestens,
wenn Constanze anfängt, sich zu verlieren, werden wir uns Vorwürfe machen, wenn wir
das hier nicht wenigstens versucht haben.«
Sehr schön. In der Einschätzung meines Geisteszustandes sind sich die Brüder ja zumindest einig.
Sie diskutieren. Ich beobachte die Löwen. Kiki beobachtet die Löwen und mich.
Die Löwen haben uns gewittert.
Ich nickte Kiki zu, das sofort die kleinen Arme hochreißt und mit deutlichem »Ki Ki« die
Löwen verblüfft. Es funktioniert! Das kleine blaue Wesen irritiert die Raubkatzen.
Schritt um Schritt weichen sie - genau wie in der Wüste - vor Kiki zurück.
Kiki treibt die Löwen in die hinterste Ecke der Baustelle.
So können wir zu dem durch eine Zeltplane geschützten Bereich.
Die Enttäuschung ist riesig.
Da liegt nur ein Schädel. Er sieht schon alt aus, finde ich.
Aber ob er wirklich viele hundert Jahre hier lag?