Liebes Tagebuch!
»Fisssssch«, zischt Kara, als ich aus dem Zelt krabble.
»Hunger? Du kennst meine Frage«, erkläre ich. »Antworte
mir und du bekommst den Fisch.«
Als ich mich ihm nähere, verschwindet er und taucht auf
dem linken Brunnen wieder auf.
Ich halte den Fisch hoch.
»Erwartest du wirklich, dass ich jetzt zwischen den Brunnen wechsle?«
Kara starrt mich ausdruckslos an, was für eine Figur nicht ungewöhnlich
ist. »Komm her, und hole dir dein Futter.«
Die Brunnenfigur verharrt regungslos.
Da habe ich eine Idee. Kara wechselt immer zwischen dem rechten
und dem linken Brunnen. Den mittleren Brunnen ignoriert er. Könnte
das ein Hinweis sein? Ist womöglich der mittlere Brunnen das Original?
Ich gehe und lege den Fisch dort ins eisige Wasser.
»Fissssch«, zischt er und das klingt jetzt aufgeregt.
»Komm her und hol ihn dir«, schlage ich vor. »Und wenn du hier
landest, wirst du meine Frage beantworten müssen. Habe ich Recht?«
»Fisssch.«
»Es geht immer noch um Sophie«, mahne ich. »Wenn du nicht
kommst, packe ich den Fisch ein und gehe meiner Wege. Dann
kannst du hundert Jahre auf dein nächstes Futter warten.«
Das hat gewirkt. Kara taucht auf dem mittleren Brunnen auf.
»Eule bleibt Eule«, zischt er. »Eule sieht nie ihr Gesicht.«
»Und wenn sie es sieht?«, frage ich mit halb angehaltenem Atem.
»Muss sie es küssen«, zischt Kara, ehe er hastig den Fisch verspeist.
»Das ist ja einfach«, freue ich mich. »Ich habe einen
Zauberspiegel, der ihr wahres Gesicht zeigt.«
»Du Ratte«, fährt Kara mich an. »Du hast mich überlistet.
Du bezahlst den Preis!«
»Welchen Preis? Wenn du mich verwandeln willst, kenne
ich ja jetzt die Lösung.«
»Hilft nur Eule«, zischt er. »Du wirst von nun an immer nur für
eine Stunde Mensch sein - und kein Mensch darf dich dann sehen
oder es wissen. Sonst wirst du sterben.«
»Nimm das zurück«, fahre ich ihn erschrocken an.
»Niemals«, verhöhnt er mich. »Du bezahlst den Preis.«
»Und du wirst nie mehr Menschen ins Unglück stürzen«, rufe ich wütend aus.
Ich stehe auf der dünnen Eisschicht. Und nun springe ich hoch.
Beim Landen knirscht es unter mir.
»Nicht!«, ruft Kara entsetzt.
Ich springe erneut. Das Eis knirscht. Es bekommt einen Riss.
Einen weiteren Sprung wage ich nicht. Ich wende mich ab und
stapfe zum Hügel. Es ist ja nicht weit bis zur Station.
»Komm zurück«, ruft Kara.
Ich gehe weiter. Ich höre das Eis brechen.
Von halber Hügelhöhe aus sehe ich zurück.
Der mittlere Brunnen ist versunken.
Die anderen beiden stehen noch da - aber auf ihnen ist keine Figur zu sehen.