Zu Luthers Zeiten war sich die Kirche 200%ig sicher, auf dem richtigen Weg zu sein - anders als die Juden. Was hätte man also von denen lernen sollen? Luther war überzeugt, wer seine Schriften liest, könne gar nicht anders, als sich seiner "richtigen" Meinung anzuschließen. Diese Überzeugung hatte er zunächst sowohl für seine Kirche als auch die Juden. Als dann zunächst Papst und Kirche, später auch das Judentum nicht evangelisch werden wollte, gab's böse Hetze gegen beide. Wo der frühe Luther durchaus judenfreundlich war, war der späte leider ein gefrusteter Antisemit (so mal als Kurzfassung).
Was das Aramäische angeht: Richtig, Jesus sprach Aramäisch, nicht Hebräisch (wobei das sehr ähnlich ist). Aber die Aufzeichnungen über ihn wurden überwiegend von Menschen mit griechisch-/römischem Hintergrund verfaßt und folglich auf Griechisch, der damaligen Weltsprache.
Was den Urtext angeht: Damals (zur Zeit Jesu, Jesajas, Moses'...) wurde ja ned mitgeschrieben, sondern erstmal lange mündlich überliefert. Da haben sich die Leute abends am Feuer hingesetzt und ihre Stammbäume erzählt, weil die z.B. wichtig waren, wenn's drum ging, welcher Stamm wie mit welchem verbündet ist. Auch die Jesusgeschichten wurden zunächst nur erzählt. Wenn z.B. ein Matthäus vorgibt, als bekehrter Zöllner selbst Jünger Jesu gewesen zu sein, sollte man das mit Vorsicht genießen. Es gilt als sehr wahrscheinlich, daß der gute Paulus ca. 20 Jahre nach Jesu Tod die ersten schriftlichen Aufzeichnungen verfaßt haben dürfte. Seine Briefe waren aber keine Biographien Jesu (dafür gab's ja die hinlänglich bekannten erzählten Geschichten), sondern theologische Schriften. Dann dürften allmählich die ersten Jesusworte und -erzählungen verschriftlich worden sein. Aus denen wurden die vier Evangelien. In dieser erst mündlichen, dann vielfältigen schriftlichen Überlieferung liegen die ersten Quellen dafür, daß z.B. gleiche Geschichten in den Evangelien gern mal ähnlich, aber nicht identisch erzählt werden. Hier rauszufinden, was wahrscheinlich am nächsten an den tatsächlichen Ereignissen dran ist, gehört in der Theologie zur sogenannten "Literarkritik".
Dann haben wir also irgendwann mal das schriftliche "Urevangelium" - und das wird jetzt wieder und wieder abgeschrieben. Dabei kommt es auch zu Fehlern. Worte werden ausgelassen, Buchstaben vertauscht, eine Zeile übersprungen... Und gleichzeitig wurden entdeckte Fehler natürlich auch wieder korrigiert. Das kann auch schiefgehen, bedenkt man, daß im Hebräischen ein fehlender Punkt einen gravierenden Unterschied machen kann. Die Suche nach dem Urtext, also dem ersten schriftlichen Text, heißt in der Theologie "Textkritik". Die vergleicht verschiedene Textvarianten und versucht zu rekonstruieren, welche die wahrscheinlich ursprüngliche war und welche Unterschiede durch Kopierfehler entstanden.
Nun zu Luther - und uns. Natürlich sind wir heute da viel weiter als Luther. Ich vermute (aber das ist dünnes Eis, denn in Kirchengeschichte war ich noch nie wirklich gut), daß Luther einen hebräischen Text des AT gehabt haben dürfte. Das war für ihn "der Urtext". Textkritik gab's damals noch nicht, die kam erst im 19. Jahrhundert auf. Als ich studierte, war diese historisch kritische Auslegung mit den Versuchen, möglichst nah an die urpsrünglichen erzählten und geschriebenen Fassungen heranzukommen, grad groß in Mode. Das haben wir rauf und runter gemacht. Wenn ich heut mit jungen Kollegen rede, erzählen die, daß es inzwischen andere Ansätze zur Bibelauslegung gibt und diese Suche nach den Urtexten gar nicht mehr so intensiv verfolgt wird. Aber in meinem Hebräischen AT gibt's haufenweise texkritischer Anmerkungen mit Verweisen darauf, in welcher der wichtigen AT-Schriften(gruppen) welche Lesart zu finden ist. Und Teil meines Examens war auch, beim Übersetzen des hebräischen/griechischen Textes auf diese möglichen Urformen einzugehen. Diese Probleme dürfte Luther ned gehabt haben. Für ihn war das AT auf Hebräisch und das NT auf Griechisch "der Urtext". Glücklicher Luther!
jj:
Gott und die Welt
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Re: Gott und die Welt
Also doch: ALLES nur Hörensagen.
Ob Hörensagen vorm jüngsten Gericht Bestand hat?
Herzlichen Gruß Hagen
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Re: Gott und die Welt
Wir werden es beizeiten erfahrenHagen von Tronje hat geschrieben: ↑Montag 23. Juni 2025, 23:29Also doch: ALLES nur Hörensagen.
Ob Hörensagen vorm jüngsten Gericht Bestand hat?


P. S. Wobei wir nicht unterschätzen sollten, wie akkurat Hörensagen zu einer Zeit ohne Mikrophon und Kamera war. Die Menschen waren drauf angewiesen, Lesen und Schreiben konnten auch nur wenige. Wir haben da vermutlich viel verlernt, weil wir es nimmer so brauchen.