Die Handelsgilde: Teil IV - Neue Feinde

[Vauban]

Terna führte sie immer weiter durch den Untergrund. Schließlich erreichten sie eine kleine Höhle, die in eine weitere mündete. Diese zweite war so gewaltig, dass Chezara und Verabas völlig vergaßen, dass sie sich tief unter der Erde befanden. Die Höhlendecke schien ihnen so weit wie der Nachthimmel an der Oberfläche entfernt zu sein. Ihre Innenseite war über und über mit dem Glimmer der Hellspinnen übersät. Wie durch ein Band aus Tausenden von Sternen wurde die Höhle beleuchtet. Terna bemerkte den staunenden Blick ihrer Begleiter. „Das Glimmerband sorgt für eine stete Helligkeit. Die erste Stadt in der Dunkelwelt wurde einst Urum Nag Forusil genannt, der Ort, der niemals schläft. Sie besteht bereits seit Tausenden von Ruhen und hat noch nichts von ihrem Licht eingebüßt.“

[Vauban]

Und dann sahen sie zum ersten Mal auf die Felsenstadt. Chezara und ihr Vater hatten zuvor keinerlei Vorstellung gehabt, was sie erwarten würde. Irgendwie hatten sie eine Siedlung wie die der Freigeborenen erwartet, nur größer. Doch die Stadtbewohner hatten ihre Behausungen nicht in die Felsen gehauen, sondern bauten einen kleinen Berg in die riesige Höhle hinein. Eine Gebäudeebene nach der anderen hatten die Dunkelweltler übereinander geschichtet. Das Ganze wurde von einer hohen Mauer umgeben.

[Vauban]

„Die Gebäudeebenen spiegeln die einzelnen Kasten wieder“, erklärte Terna, „je tiefer man lebt, umso größer ist das Ansehen. Die Hälfte des untersten Ringes bewohnt Sinlucem mit seiner Familie, die andere Hälfte nutzen die Priester. Darüber leben die Gepanzerten, dann folgen die verschiedenen Arbeiterklassen. In den Häusern der obersten Ebene fristen die Leibeigenen ihr Dasein und blicken voller Neid auf die niederen Kasten herab.“ Chezara war verwirrt, ein solches Leben erschien ihr völlig fremd.

[Vauban]

Nach Ternas Erklärungen fiel Verabas aber etwas auf, „die Städte werden nicht aufgegeben, wenn die Weiden abgeerntet sind?“ Terna schüttelte den Kopf, „der Entwicklung zu einer Stadt richtet sich weniger nach der Größe der Höhle als nach dem Ertrag der Minen. In diesen Bergwerken wird ein Mineral abgebaut, das die Pilze, die die Hellspinnen nähren, schneller und größer wachsen lässt. Aber der Abbau der Minerale ist beschwerlich und sehr gefährlich. Die Kaste der Bergleute zählt nur wenige Köpfe. Ihre Frauen bekommen nur wenige Kinder. Viele sagen, dass das Mineral lebt und sich gegen den Abbau zur Wehr setzt.

[Vauban]

„Darum enden in den Minen auch alle freigeborenen Männer, derer die Gepanzerten habhaft werden“, erzählte Terna ihren beiden Zuhörern, während sie weiter durch das Halbdunkel kletterten. „Ebenso verbüßt jeder Verbrecher seine Strafe in den Minen. Viele erleben jedoch den Tag ihrer Entlassung nicht mehr.“ „Glaubst du, dass sie auch die Oberweltler dorthin gebracht haben?“ Terna zuckte mit den Schultern, „ich weiß es nicht. Aber ich kann es mir nicht vorstellen. Sicherlich soll niemand die Oberweltler zu Gesicht bekommen. Ich rechne eher damit, dass sie nach unten, zu den Priestern gebracht wurden.“ Die Dunkelweltlerin reichte Verabas eine Hand und half ihm so an einem besonders hohen Felsabsatz.

[Vauban]

Terna führte sie in einem Stollen ein Stück aufwärts. Der Gang wurde, je weiter sie gingen, immer niedriger. Der Glimmer an den Höhlenwänden ließ nach. Es wurde dunkler. Bevor sie ganz in Finsternis getaucht wurden, zog Terna drei Stäbe hervor. Sie waren in Glimmer getaucht und spendeten etwas Licht. „Leider hält sich der Glimmer auf den Stäben nicht sehr lange. Wir müssen uns beeilen.“

[Vauban]

Sie folgten weiter dem Stollen. Boden und Decke rückten einander näher, und sie mussten bald auf ihren Knien weiterrutschen. Ohne zu Klagen nahmen Chezara und Verabas das anstrengende Kriechen auf sich. Chezara wurde von der Hoffnung vorangepeitscht, bald schon wieder ihren Mann in ihren Armen halten zu können.

[Vauban]

Schließlich gelangten die drei in eine kleine Höhle. Ein Kamin führte durch die Decke nach oben, ein Loch nach unten. Terna wickelte ein Seil von ihren Schultern und band es an einen Felsen. Ich werde als erste gehen. Folgt mir erst, wenn ich euch mit der Flöte rufe“, raunte sie ihren Begleitern zu. „Wenn ich im Loch bin, zählt bis einhundert! Habt ihr bis dahin nichts von mir gehört, so wurde ich gefangen. Dann seid ihr auf euch alleine gestellt.“ Sie schwang ihre Beine über den Rand und steckte bis zur Hüfte im Loch.

[Vauban]

Bevor auch ihr Kopf im Loch verschwand, wandte sie sich noch einmal an Chezara und ihren Vater, „gebt acht! Das Seil endet etwa eine Mannslänge über dem Boden. Ihr müsst euch nur fallen lassen!“ Die Dunkelweltlerin kletterte geschickt an dem Seil hinab. Verabas begann leise zu zählen, während Chezara sich über den Rand des Loches legte und angestrengt hinab blickte. Aber es war zu finster, und sie konnte nur das schwächer werdende Glühen von Ternas Glimmstab sehen.

[Vauban]

Verabas war erst bei zweiundvierzig, als Terna das Signal zum Folgen gab. Der alte Mann ließ seiner Tochter den Vortritt. Chezara kletterte ebenfalls gewandt und mit großer Geschwindigkeit das Seil hinab. Etwas langsamer folgte ihr dann ihr Vater. Der Absprung gelang beiden ohne Mühen. Sie landeten sicher auf dem Boden neben Terna. Hinter den Felsen hörten sie die typischen Geräusche einer belebten Stadt. „Ich hätte es mir schwieriger vorgestellt, in die Stadt einzudringen“, murmelte Verabas.

[Vauban]

„Dies war der einfachste Teil unserer Mission“, bremste ihn Terna. Dass wir die Felsenstadt wieder lebend verlassen werden, dazu bedarf es noch einer gehörigen Portion Glück.“ Ein langgezogener Ruf ging durch die Straßen. „Es ist Halbtag“, stellte Terna zufrieden fest. „Nutzen wir den Lärm der Stadt.“ Sie verließen die kleine Seitengasse, in der sie gelandet waren, und gingen hinaus in die Stadt. „Erstaunlich“, dachte Chezara, „wie ähnlich das Leben in der Dunkelwelt zur Oberwelt verläuft.“

[Vauban]

Wären die bleichen Gesichter der Bewohner und die dunklen Mauern der Gebäude nicht gewesen, so hätten die Szenen, die sich ihren Augen boten, auch in jeder Stadt im Land des Morgens oder in den Königreichen abspielen mögen. Händler boten ihre Waren an oder versuchten ihre Wagen durch die überfüllten Straßen zu lenken. Handwerker gingen ihren Arbeiten nach, und dazwischen tauchten immer wieder einige in Silber und Grau gekleidete Mitglieder der Priesterkaste auf, denen die Dunkelweltler, so gut es in den Gassen nur ging, Platz machten.

[Vauban]

Terna und ihre beiden Freunde hefteten sich jedoch unauffällig einer Gruppe Priester auf die Fersen. Die Dunkelweltlerin hatte sich einen tollkühnen Plan ausgedacht. Anstelle der im Kampf gut ausgebildeten Gepanzerten wollte sie einige Priester überwältigen und in deren Robe in die unterste Ebene eindringen. Sie gab ihrem Plan dadurch Aussicht auf Erfolg, dass die Priester für die übrigen Kasten Unberührbare waren. Niemand würde es wagen, Hand an ein Mitglied der zweitniedrigsten Kaste zu legen. Alle lebten in der Furcht vor dem Bösen aus der Oberwelt, das allein die Macht der Priester von ihnen abwehrte. Ein Angriff auf einen Priester konnte nur von einem Freigeborenen erdacht werden, und die lebten üblicherweise nicht in der Stadt.

Fortsetzung folgt ...

[pbfox]

Hallo Vauban,

ein herzliches für die schnelle und spannende Fortsetzung.

Eine tolle und fesselnde Geschicht - genial wie du das Kastenwesen verdreht hast (die niedrigste Kaste lebt ganz unten IST aber die herrschende Oberschicht - super Idee!).

ein begeisterter und treuer Leser (schon fast ein Abonnement)

pbfox

[Artona]

Einfach wieder mal eine gelungen Fortsetzung! Die Aufbauten sind einfach gigantisch!
Ist die Stadt im ganzen gebaut? Wie kriegst Du bloß mit dem Stecksytem eine rundliche Mauer hin?
Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.
Artona