„Oh, das gefällt mir. Nur fürchte ich heute Nacht werden wir kaum einen solch einladenden Ort. finden“
Bald würde die Kutsche Rast machen. Der Kutscher brauchte Schlaf, die Kutsche neue ausgeruhte Pferde und Lucie sehnte sich danach, ein wenig herum zu laufen. Außerdem war Silvester. Ein ganz besonderes Silvester. Ein neues Jahrhundert begann. Keiner wusste, was es bringen würde. Die Welt wirkte so groß wie noch nie und wenn es nach Lucie ging, wollte sie jeden Winkel davon entdecken. Nein, es würde keinen Ort geben, an dem sie bleiben würde.
„Ihr Akzent erinnert mich an meine Heimat.“ Stellte Danteslav Orlok fest. Das letzte womit er gerechnet hatte war diesen Akzent noch einmal wiederzuhören.
„Ich lebte die meiste Zeit meines Lebens im Prag.“ Sie lächelt leise.
„Und, wo treibt es sie hin, so weit von zu Hause?“
Lucie Capek überlegt kurz. Nun, sie war es, die das Gespräch begann und sich unterhalten wollte. Und nun schwebte diese Frage im Inneren der Kutsche und sie wusste nicht wirklich was sie antworten sollte. Was er verstehen würde. Normalerweise lebten Frauen ihres Alters in einem Haus und bekochten ihre Enkelkinder.
„In das neue Jahrhundert!“ sagt sie und genau das ist auch die Antwort.
„Dann haben wir anscheinend denselben Weg!“ Orlok nimmt den Hut ab und verbeugt sich soweit es in der Kutsche möglich ist.
„Mein Name ist Danteslav Orlok. Graf Orlok.“
„Ein echter Graf.“ Lucie ergreift seine dargebotene Hand. „Ich bin Lucie Carpek.“
„Erfreut, Sie kennen zu lernen.“
Von draußen hören sie den Kutscher die Pferde stoppen und die Kutsche kommt zum Stehen. Die beiden Passagiere hatten seit Beginn ihrer Unterhaltung nicht mehr aus dem Fenster gesehen und so gar nicht mitbekommen, dass sie einen kleinen Ort erreicht haben. Dann öffnet sich die Tür und der Kutscher schaut herein.
„Wir sind in Bevertown. Hier geht es morgen früh weiter. Dort drüben ist ein Hotel.“ Seine schwieligen Finger zeigen zu einem Haus die Straßen hinunter.
Orlok steigt aus, streckt sich kurz und bietet dann seiner Mitreisenden die Hand zum Aussteigen.
„Vielleicht hätte ich doch den Zug nehmen sollen.“ Scherzt die Dame.
„Dann hätte ich aber das Vergnügen ihrer Gesellschaft versäumt.“ Danteslav bietet ihr seinen Arm an. „Wollen wir in den Saloon gehen?“ fragt er Lucie.
„Lassen Sie unser Gepäck bitte vorsichtig ins Hotel bringen.“ Wendet er sich an den Kutscher und wirft ihm ein Goldstück zu. Fast automatisch beißt dieser darauf, um seine Echtheit zu testen. Dabei sieht er kaum so aus, als würde er Gold schon einmal gekostet haben.
„Mit Vergnügen mein Herr.“ Verbeugt er sich und geht zum Stall hinüber, um ein paar der Burschen zum Tragen zu holen.
Lucie Carpek und Danteslav Orlok schlendern derweil zum Saloon hinüber. Sicher ist Danteslav klar, dass es höchst unpassend wäre, hier seinen gewohnten Speiseplan einzuhalten. Zumal das Dorf kaum größer ist als die kleinen Dörfer rund um die Burg seiner Ahnen. Nein, das wäre höchst unpassend und gefährlich. Es ist Silvester – nicht nur irgendein Silvester, sondern der Beginn eines neuen Jahrhunderts – alle werden wach sein und wenn er ehrlich war, würde er den Abend auch lieber mit Frau Carpek verbringen als auf der Flucht.
Die Pendeltür schwingt hinter ihnen wieder zusammen. Wie Danteslav bereits erwartete, ist der Raum voller Menschen. Sie sitzen an den Tischen, trinken, spielen Karten und krakeelen herum. An der Seite sitzt ein Kerl am Klavier und gibt was er kann, während eine recht leicht bekleidete Dame auf der kleinen Bühne ihr Bestes gibt, um das Publikum zu unterhalten.
Hinten in der Ecke gibt es noch einen kleinen Tisch, an dem niemand sitzt. Der Wirt scheint ihn heute extra sauber gemacht zu haben. Ach, nicht schon wieder sitzen, denkt sich Lucie. „Lassen Sie uns doch zur Bar vorgehen. Da sieht man uns wenigstens.“ Schlägt sie vor. Da Danteslav sowieso nichts essen will, ist es ihm egal und sie gehen durch den Raum hindurch unter den Blicken der Einheimischen zur Bar.
„Was haben Sie zu Essen, junger Mann?“ wendet sie sich resolut an den dicken Mann hinter dem Tresen.
„Brot und Speck haben wir noch. Wenn Madam wünscht, können wir ihn auch noch braten.“ Erklärt dieser.
„Ja gerne. Zwei Portionen bitte.“ Bestellt Lucie. „Nein, bitte für mich nichts.“ Fällt ihr Orlok ins Wort.
Sie sieht ihn irritiert an aber bestellt dann das Essen für sich allein.
„Ich habe noch etwas in der Kutsche vergessen.“ Entschuldigt sich Danteslav bei seiner Begleitung. „Bitte beginnen Sie keine Schlägerei, während ich weg bin.“ Scherzt er und geht noch einmal durch die Menge nach draußen.