Da schleppen Conrad und Helferlein die erste der beiden Schatztruhen herein.
"Passt das da auch in Ihre Sammelbüchse?" frage ich grinsend.
"Santa madre de Diós" murmelt die Nonne vor sich hin.
"Habe Sie etwa eine Bank ausgeraubt oder einen Schatz gefunden?" fragt der Leiter der Caritasstelle. "Ähh, ja, das ist eine längere Geschichte," antworte ich.
Die Nonne murmelt immer noch "Santa madre de Diós" vor sich hin, während Nancy nur stumm und mit großen Augen im Gold wühlt.
Zur Beruhigung gibt es erst einmal einen Kaffee. Dabei erzählen wir unser nächtliches Abenteuer in La Noria.
Natürlich haben alle drei Caritasmitarbeiter schon jede Menge Gruselgeschichten über La Noria gehört, auch über die vergrabenen Truhen, aber den Schatz hier leibhaftig im Büro stehen zu haben, das ist schon sehr irritierend.
"Santa madre de Diós!" meint die Nonne.
"Und was machen wir jetzt mit dem ganzen Geld?" fragt der Caritasleiter.
"Schulen," antwortet Nancy.
"Da das Geld aus einer Mine stammt, wäre etwas für arme Minenarbeiter vielleicht angebracht," findet Conrad.
Jetzt fühlt sich der Caritaschef herausgefordert, uns einen Vortrag über die soziale Situation in Chile zu halten:
"Mit einem Prokopf-Inlandsprodukt von rund 23.000 USD pro Jahr liegt Chile an der Spitze Lateinamerikas. Doch die Schere zwischen Arm und Reich klafft so weit auseinander wie fast nirgendwo auf der Welt: 1% der erwerbstätigen Bevölkerung, die "Superreichen", konzentrieren 30% des Einkommens. Auf der anderen Seite leben offiziellen Angaben zufolge 14,4 Prozent der Chilenen in Armut, 4,5 Prozent der Gesamtbevölkerung sind sogar extrem arm. Während Manager in der Wirtschaft internationale Spitzengehälter beziehen, müssen ungelernte Beschäftigte mit dem gesetzlichen Mindestgehalt von 225.000 pesos (ca. 350 USD monatlich) auskommen. Gesellschaftstragende Berufe wie Lehrer und Angestellte, Richter und Polizisten sind chronisch unterbezahlt."
Und Nancy fügt hinzu: "Die soziale Kluft wird zementiert durch ein Bildungssystem, in dem Qualität nur mit Geld zu erkaufen ist. Staatliche Schulen sind zwar kostenlos oder billig, bieten jedoch ein trostloses Bild neben den teuren Privatschulen der Mittel- und Oberschicht. Auch für die Universitätsausbildung ihrer Kinder müssen Familien tief in die Tasche greifen.
Deshalb wären gute, weitgehend kostenlose Schulen mit Internat ein wichtiger Schritt für mehr soziale Gerechtigkeit. Nicht umsonst gibt es seit einigen Jahren massive Studenten- und Schülerproteste."
"Und die Minenarbeiter?" frage ich.
"Der Kupferbergbau ist aktuell eine der wichtigsten tragenden Säulen der Chilenischen Industrie," erklärt der Leiter. "Das robuste Wachstum des Landes und der gestiegene Wohlstand basierten zum größten Teil auf den hohen Kupferpreisen der vergangenen Jahre. Minenarbeiter verdienen meist mehr als die meisten Chilenen. Das schnelle Wachstum des Sektors und der Mangel an Fachkräften treiben Saläre und Boni in die Höhe. In vielen chilenischen Minen verdient ein Lastwagenfahrer heute mehr als seine Kollegen in den USA."
Die Nonne, die sich so langsam wieder eingekriegt hat, erklärt jetzt: "Am schwierigsten ist die Situation für all jene, die keine feste Anstellung finden oder - ohne soziale Absicherung - im großen informellen Sektor tätig sind. Sie leben oft in notdürftigen Slums oder in defizienten Sozialwohnungen an den Stadträndern, welche die Bewohner der besseren Viertel kaum zu Gesicht bekommen. Ich wäre daher dafür, das Geld in gute Sozialwohnungen zu stecken.
Wir diskutieren noch ein Weilchen, bis uns die Köpfe von den ganzen Zahlen und Daten rauchen. Schließlich einigen wir uns darauf, dass von den einen Hälfte des Geldes zwei Schulen mit Internat gegründet werden, von der anderen Hälfte Sozialwohnungen gebaut werden.
Dann verabschieden wir uns.
"Nun müssen wir aber schleunigst weiter," sage ich, "wir müssen schließlich noch das Weltklima retten."
"Ach, Sie sind auch Umweltschützer!" freut sich Nancy. "Sind Sie dann auch am Samstag auf der großen Anti-Atomkraft-Demo in Santiago?"
"Äh, eher nicht. Wir haben einen dringenden Auftrag."
"Sie gehören aber nicht etwa zu der Gruppe, die irgendeine spektakuläre Aktion auf dem Monte Burney veranstaltet? Die, die sich als Drachen verkleiden und seltsame Tiere dabei haben?"
Na, das klingt wirklich nach unserer Gruppe. Daher frage ich: "Seit wann sind die denn auf dem Monte Burney?"
"Meine Freundin hat mir gestern gemailt, dass die da sind. Was ist denn das genau für eine Aktion?"
"Nun, das ist noch geheim. Soll eine Überraschung werden," sage ich und denke: Gestern scheint das was los gewesen zu sein, was ziemliches Aufsehen ereckt hat. Da ist doch hoffentlich kein Unglück passiert?
Nachdem wir uns nett verabschiedet haben, machen Conrad und ich uns schleunigst auf die Socken. Wir schalten den Chronomatiumrückzugsbescheuniger auf volle Leistung. Am Besten, wir kommen vorgestern am Monte Burney an.