Liebes Tagebuch!
Wilbur kommt pünktlich auf die Sekunde genau.
»So«, lacht er, »heute habe ich viel Zeit. Bis halb elf sollten wir durch sein.«
»Das nennst du viel Zeit?«, staune ich. »Hast du
wenigstens gute Nachrichten?«
»Die habe ich«, verspricht er. »Bekomme ich einen Kaffee?«
Der Kaffee ist eh schon fertig. Wilbur setzt sich.
»Also«, kommt er ohne Umschweife zur Sache, »die Deportation
ist per einstweiliger Verfügung erst mal gestoppt.«
»So schnell?«
»Man legt sich nicht gerne mit mir an«, grinst er. »Aber jetzt
musst du tätig werden und gegen die Entscheidung klagen.
Ich habe dir hier eine Liste von Anwälten gefertigt, die sich
mit dem Ausländerrecht gut auskennen.«
»Du willst mich nicht vertreten? Du bist doch Anwalt.«
»Das ist aber nicht mein Fachgebiet, Mara«, lehnt er ab.
»Außerdem kannst du dir mich gar nicht leisten.«
»Wenn es nur am Geld liegt, dann kann ich das Haus
verpfänden oder verkaufen.«
»So wichtig sind dir diese Leute?«, staunt Wilbur.
»Aber weshalb hast du das Ausfliegen gestoppt, wenn du
mir eh nicht weiter helfen willst?«, forsche ich.
»War ein Gefallen. Hugos Assistent rief mich an und bat
darum«, gibt Wilbur zu. »Und Hugo ist mein wichtigster
Klient. Da macht man Zugeständnisse.«
Ich verstehe. Falk hat wohl die Übertragung der Demonstration
im Fernsehen mitbekommen und wollte mir helfen. Nett von ihm.
Aber letztlich hat es nichts gebracht.
»Wie lange würde so ein Prozess dauern?«
»Wenn es gut läuft, ein halbes Jahr bis zur ersten Verhandlung.
Dann Urteil. Widerspruch. Neue Termine. Das zieht sich, Mara.«
»Danke, dann lassen wir es. Ich kann nicht dulden, dass die Kikis
so lange eingesperrt sind«, entscheide ich. »Dann hole ich sie per
Flugzeug aus der Wüste zurück.«
»Und woher willst du die Einreisegenehmigung nehmen?«, antwortet
Wilbur. »Ohne Anwalt hast du keine Chancen.«
Ich nehme aus dem Ordner, den ich gestern über die Kikis anfertigte,
ein Foto. Ich fürchte. Wilbur kapiert nicht ganz, worum es geht.
»Das ist Kiki mit Familie«, sage ich.
Wilbur verschluckt sich am heißen Kaffee.
Er springt auf, schnappt sich seinen Laptop und fährt mich an:
»Das ist ein verdammt übler Scherz! Für so eine Kinderkacke
gebe ich meinen Namen nicht her. Schlimm genug, dass ich
mich da reinziehen ließ.«
Wütend geht er zur Tür.
In dem Moment kommt Hugo.
»Oh, ihr seid schon fertig«, staunt er. »Ich habe mich
doch nur wenig verspätet.«
»Du weißt, was ein Kiki ist?«, entfährt es Wilbur ungläubig.
Hugo lacht.
»Ich kenne Kiki und seine bezaubernde Frau Keiki und
auch die drei Kinder«, gibt er gelassen zu. »Du übernimmst
den Fall doch, oder?«
»Garantiert nicht«, faucht Wilbur. »Das hat keine Beziehung
zu unseren Geschäften.«
»Schon gut, Hugo«, mische ich mich ein. »Du wolltest mir
helfen. Danke dafür. Aber ...«
»Hey, ich denke immer nur an meinen eigenen Vorteil«, grinst
Hugo und zwinkert mir zu. »Reden wir darüber?«
Widerwillig gibt Wilbur nach.